Leitsatz (amtlich)

Mangels Zustimmung des Beklagten setzt die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 1 ZPO voraus, dass zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Die Besorgnis des Zeugenbeweisverlustes kann im Einzelfall im Hinblick auf das hohe Alter eines potentiellen Zeugen als alleinige Zulässigkeitsvoraussetzung - also ohne Hinzutreten besonderer Umstände wie das Vorliegen von Erkrankungen - ausreichen. Als "hohes Alter" in diesem Sinne kommt indes nur ein fortgeschrittenes Lebensalter in Betracht. Von einem solchen ist auszugehen, wenn der potentielle Zeuge die durchschnittliche Lebenserwartung bezogen auf die Lebenserwartung im Zeitpunkt seines 65. Geburtstages deutlich überschritten hat (vgl. hierzu auch Ahrens in: Wieczorek/Schütze, Zivilprozessordnung und Nebengesetze, 4. Aufl. 2014, § 485 Rn. 32).

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 01.11.2020; Aktenzeichen 28 O 112/18)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. November 2019 (Aktenzeichen: 28 O 112/18) wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

 

Gründe

Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 569 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 ZPO) Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. November 2019 ist nicht begründet.

Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist zurückzuweisen. Mangels Zustimmung des Beklagten setzt die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 1 ZPO voraus, dass zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Die Besorgnis des Zeugenbeweisverlustes kann im Einzelfall im Hinblick auf das hohe Alter eines potentiellen Zeugen als alleinige Zulässigkeitsvoraussetzung - also ohne Hinzutreten besonderer Umstände wie das Vorliegen von Erkrankungen - ausreichen (KG, Beschluss vom 21. Juni 1977 - 7 W 2121/77 - JurBüro 1977, 1627; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Februar 1997 - 10 WF 275/97 - juris Rn. 8). Als "hohes Alter" in diesem Sinne kommt indes nur ein fortgeschrittenes Lebensalter in Betracht. Von einem solchen ist auszugehen, wenn der potentielle Zeuge die durchschnittliche Lebenserwartung bezogen auf die Lebenserwartung im Zeitpunkt seines 65. Geburtstages deutlich überschritten hat (vgl. hierzu auch Ahrens in: Wieczorek/Schütze, Zivilprozessordnung und Nebengesetze, 4. Aufl. 2014, § 485 Rn. 32).

Hieran fehlt es. Der heute 77 Jahre alte potentielle Zeuge Sch. hatte zum Zeitpunkt seines 65-jährigen Geburtstags 2007/2008 nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes eine Lebenserwartung von weiteren 17,22 Jahren (https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12621-0002&zeitscheiben=16&sachmerkmal=ALT577&sachschluessel=ALTVOLL000,ALTVOLL020,ALTVOLL040,ALTVOLL060,ALTVOLL065,ALTVOLL080...abreadcrumb abgerufen am 21. Oktober 2020). Diese durchschnittliche Lebenserwartung erreicht der potentielle Zeuge Sch. erst in ca. fünf Jahren, so dass bei ihm noch nicht von einem "hohen Alter" im oben genannten Sinne auszugehen ist (vgl. im Ergebnis auch bereits KG, Beschluss vom 11. Oktober 1906, zit. nach Mugdan/Faltmann, Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, Bd. 15 (1907), S. 145 zur im Jahre 1906 (!) fehlenden Besorgnis des Verlusts des Zeugenbeweises bei einem 76 Jahre alten Zeugen). Andere Umstände, die einen Verlust des Zeugenbeweises wahrscheinlich erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. Die von den Klägern in Bezug genommenen "Herzprobleme" des Zeugen sind schon nach ihren Einschätzungen unsubstantiiert. Entgegen der von ihnen vertretenen Rechtsauffassung ist eine überlange Verfahrensdauer nicht zu besorgen. Termin vor dem Senat ist für den 12. Januar 2021 anberaumt. Ergänzend wird insoweit auf die Ausführungen im angegriffenen Beschluss vom 1. November 2019 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14288898

ZfIR 2021, 83

Mitt. 2021, 295

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge