Leitsatz (amtlich)
Eine Zeugeneinvernahme im selbständigen Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 1 ZPO ist auch dann zulässig, wenn ein Rechtsstreit in der Hauptsache (noch) nicht anhängig ist.
Das hohe Alter eines Zeugen/ einer Zeugin (hier: 83 Jahre) begründet die Besorgnis, dass das Beweismittel verloren geht oder eine erschwerte Benutzung desselben eintritt; damit ist die Sicherung des Beweises durch ein selbständiges Beweisverfahren gerechtfertigt.
Normenkette
ZPO §§ 114, 485
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 6 OH 1/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 08.07.2020 wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 24.06.2020 (I-6 OH 1/20) abgeändert:
Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens bewilligt.
Frau Rechtsanwältin I, N, wird zu den Bedingungen eines im Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet.
Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Versagung der von ihm beantragten Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 1 ZPO.
Der Antragsteller beabsichtigt, die Antragsgegner, bei denen es sich um den leiblichen Vater und die Stiefmutter des Antragstellers handelt, aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung in Anspruch zu nehmen.
Dazu trägt der Antragsteller vor, dass er in seiner Kindheit physisch und psychisch misshandelt worden sei und beruft sich zum Beweis dessen auf die Aussage seiner am 00.00.1937 geborenen Großmutter, deren Einvernahme im selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO er beantragt.
Zur Begründung seines selbständigen Beweisantrages hat der Antragsteller vorgetragen, dass aufgrund des hohen Alters der Zeugin und der derzeit grassierenden Corona-Pandemie der Verlust oder die erschwerte Benutzung des Beweismittels im Sinne des § 485 Abs. 1 ZPO zu besorgen sei. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Antragsstellers wird auf die Antragsschrift vom 05.06.2020 Bezug genommen.
Das Landgericht Bochum hat den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 24.06.2020 (I-6 OH 1/20) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass § 485 Abs. 1 ZPO zwingend voraussetze, dass bereits ein Hauptverfahren anhängig sei. Zudem begründe das hohe Alter der Zeugin alleine keinen drohenden Beweisverlust im Sinne des § 485 Abs. 1 ZPO; weiterhin handele es sich bei der Zeugin um eine solche lediglich vom Hörensagen, und schließlich stelle ihre Vernehmung einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses vom 24.06.2020 Bezug genommen (Bl. 43 f. d.A.).
Hiergegen hat der Antragsteller unter dem 08.07.2020 sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 64 ff. d.A.), der das Landgericht Bochum mit Beschluss vom 15.07.2020 (Bl. 71 d.A.) nicht abgeholfen hat.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die gemäß §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ZPO statthafte, fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das von ihm beabsichtigte selbständige Beweisverfahren zu Unrecht zurückgewiesen.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe war zulässig und begründet.
1. Die Zulässigkeit des Antrags war insbesondere gegeben, da § 114 ZPO für alle selbständigen Gerichtsverfahren gilt (Zöller/Schultzky, 33. Aufl. 2020, Vor § 114 ZPO Rn. 4, BeckOK-ZPO Vorwerk/Wolf/Kratz, 37. Edition, § 114 ZPO Rn. 1), so dass § 114 ZPO auch im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 ZPO Anwendung findet (Zöller/Schultzky, a.a.O., § 114 ZPO Rn. 42; BeckOK-ZPO Vorwerk/Wolf/Kratz, a.a.O. § 114 ZPO Rn. 1; OLG Hamm MDR 2015, 727; OLG Oldenburg MDR 2002, 910).
2. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war auch begründet, da die Rechtsverfolgung des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO bietet. Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren hat dann Aussicht auf Erfolg, wenn dem selbständigen Beweisantrag voraussichtlich stattzugeben ist (Zöller/Schultzky, a.a.O., § 114 ZPO Rn. 42; OLG Saarbrücken MDR 2003, 1436). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Prozesskostenhilfe war weder mangels Statthaftigkeit des Antrags nach § 485 Abs. 1 ZPO zu versagen (unten II.2.1.) noch aufgrund fehlenden Beweisverlustrisikos (dazu unten II.2.2.) noch mangels Rechtsschutzbedürfnisses (II.2.3.) aufgrund von Ungeeignetheit des Beweismittels (II.2.3.1.) oder unter dem Aspekt des unzulässigen Ausforschungsbeweises (II.2.3.2.).
Im Einzelnen:
2.1. Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist insbesondere, entgegen der Ansicht des Landgerichts, nicht schon deswegen unstatthaft, weil ein Hauptsachverfahren nicht bereits anhängig war. Das Landgericht Bochum hat insofern im Ergebnis zu Un...