Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung einer erneuten Haftbeschwerde in Haftprüfungsantrag
Leitsatz (amtlich)
Sind die gegen eine Haftentscheidung zulässigen Rechtsmittel ausgeschöpft, so ist eine unzulässige erneute Haftbeschwerde grundsätzlich in einen Antrag auf Haftprüfung umzudeuten. Dieser Umdeutung steht nicht entgegen, dass das Rechtsmittel von dem Verteidiger des Angeklagten erhoben worden ist, weil auch entsprechende Erklärungen der Staatsanwaltschaft und von Verteidigern der Auslegung unter Berücksichtigung des verfolgten Zieles zugänglich sind. Auch eine anwaltlich formulierte Beschwerde, die sich "gegen den Haftbefehl" richtet, ist nicht ohne weiteres allein deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil inzwischen eine neue Haftentscheidung getroffen worden ist.
Normenkette
StPO §§ 117, 300, 304
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen (517) 285 Js255/13 KLs (34/13)) |
Tenor
Die Sache wird an das Landgericht Berlin zur eigenen Sachentscheidung zurückgegeben.
Gründe
Der Senat nimmt wegen des Verfahrensgegenstands und -gangs auf seinen Beschluss vom 18. Juni 2015 - 4 Ws 45/15 - Bezug, durch den er die Beschwerde des Angeklagten vom 8. Mai 2015 gegen den Haftbefehl vom 20. Dezember 2013 in Gestalt der letzten Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts vom 27. April 2015 verworfen hat.
Unter dem 27. Dezember 2015 hat einer der beiden Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt D, "gegen den Haftbefehl vom 20.12.2013" Beschwerde erhoben und diese im Wesentlichen pauschal damit begründet, dass angesichts der Anzahl der - von ihm tabellarisch lediglich mit Datumsangabe dargestellten - Hauptverhandlungstage seit seiner letzten Haftbeschwerde vom 8. Mai 2015 das Beschleunigungsgebot abermals verletzt worden sei.
Das Landgericht hat unter dem 8. Januar 2016 eine begründete Nichtabhilfeentscheidung getroffen und die Akten dem Senat zugeleitet. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
1. Eine Sachentscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
a) Die Beschwerde ist in der erhobenen Form unzulässig. Aus § 117 Abs. 2 StPO folgt, dass ein Beschuldigter grundsätzlich nur die letzte von Amts wegen oder auf seinen Antrag hin ergangene - den Bestand des Haftbefehls (also nicht etwa nur die Abänderung von Auflagen eines Verschonungsbeschlusses) betreffende (vgl. OLG Hamburg StV 1994, 323) - Haftentscheidung anfechten kann (vgl. OLG Köln StraFo 2013, 24; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3. Juli 2008 - 1 Ws 64/08 - [juris]; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Oktober 1992 - 2 Ws 311/92 - [juris]; OLG Schleswig SchlHA 1986, 106; KG, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 5 Ws 31-32/15 -; Senat, Beschluss vom20. Januar 2015 - 4 Ws 8/15 - mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 117 Rn. 8; Graf in KK-StPO 7. Aufl., § 117 Rn. 5); gleichzeitig werden alle weiteren Beschwerdemöglichkeiten gegen früher ergangene Haftentscheidungen ausgeschlossen (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2001, 135). Eine - hier nicht in Betracht kommende - Ausnahme kann lediglich dann gegeben sein, wenn die Haftfrage in der früheren Entscheidung umfangreich erörtert und die nachfolgende (letzte) Haftentscheidung ohne neue tatsächliche Erwägungen getroffen worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2015 - 4 Ws 18/15 - mwN).
Die letzte im hiesigen Verfahren ergangene und damit als Anfechtungsgegenstand in Betracht kommende Haftentscheidung des Landgerichts war der Beschluss vom 27. April 2015. Dieser betraf auch den Bestand des Haftbefehls. Über die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 18. Juni 2015, der seinerseits nach § 304 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 1. Hs. StPO unanfechtbar ist, entschieden.
b) Sind - wie vorliegend - die gegen eine Haftentscheidung zulässigen Rechtsmittel ausgeschöpft, so ist eine unzulässige erneute Haftbeschwerdegrundsätzlich in einen Antrag auf Haftprüfung umzudeuten (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 26. November 2006 - 1 Ws 397/06 - [juris]; KG aaO.; Senat, Beschluss vom 22. September 2000 - 4 Ws 180/00 - [juris]; Graf aaO. mwN).
Dieser Umdeutung steht nicht entgegen, dass das Rechtsmittel von dem Verteidiger des Angeklagten erhoben worden ist, weil auch entsprechende Erklärungen der Staatsanwaltschaft und von Verteidigern der Auslegung unter Berücksichtigung des verfolgten Zieles zugänglich sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 300 Rn. 2mwN). Der Senat folgt nicht der mitunter vertretenen Auffassung, wonach eine anwaltlich formulierte Beschwerde, die sich "gegen den Haftbefehl" richtet, ohne weiteres als unzulässig zu verwerfen ist, weil inzwischen eine neue Haftentscheidung getroffen worden ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 31. Oktober 2014 - 3 Ws 573/14 - und 25. Februar 2015 - 3 Ws 73/15 -). Diese Auffassung ist insbesondere dann, wenn sich das Rechtsmittel nach einem maßgeblichen Zeitablauf seit der vorangegangenen Entscheidung inhaltlich mit Gründen gegen die (weitere) Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft richtet, nicht überzeugend. Eine sac...