Leitsatz (amtlich)
1.
Die Anschlusserklärung eines minderjährigen Verletzten nach § 396 StPO ist nur wirksam, wenn der Personensorgeberechtigte ihn bei dieser Prozesserklärung vertritt oder der Erklärung des Minderjährigen zustimmt.
2.
Einer Auslegung der Nebenklagevorschriften dahingehend, dass ein minderjähriger Nebenklageberechtigter mit Vollendung des 14. Lebensjahres (prozessual) handlungsfähig ist und ohne Zustimmung seines Personensorgeberechtigten wirksam den Nebenklageanschluss erklären kann, steht entgegen, dass damit ein Wertungswiderspruch zum materiellen Recht entstünde.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 27.11.2009; Aktenzeichen (530) 5 Ju Js 343/07 KLs (37/09)) |
Tenor
1.
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 27. November 2009 aufgehoben, soweit es festgestellt hat, dass sich der Verletzte Mohamed H. wirksam der öffentlichen Klage angeschlossen hat. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.
2.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Vorsitzenden der 30. Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 27. November 2009 gegenstandslos ist, soweit dem Verletzten Mohamed H. ein Beistand bestellt worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden als unzulässig verworfen.
3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
Bei dem Landgericht ist derzeit ein Strafverfahren anhängig, in welchem dem Beschwerdeführer unter anderem vorgeworfen wird, sich des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in elf Fällen, davon in drei Fällen zum Nachteil des am 29. Dezember 1991 geborenen Oktay Ö. und in drei Fällen zum Nachteil des am 16. November 1993 geborenen Mohamed H., schuldig gemacht zu haben. Die Hauptverhandlung hat am 12. Januar 2010 begonnen und dauert an.
Die Geschädigten Ö. und H. haben jeweils ohne Wissen ihrer Eltern erklärt, sich dem Verfahren gegen den Beschwerdeführer als Nebenkläger anzuschließen, und zur Begründung ausgeführt, sie hätten aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes familiäre Probleme und Repressalien zu befürchten, falls die zu ihrem Nachteil begangenen Straftaten in ihrem familiären Umfeld bekannt würden.
Mit Kammerbeschluss vom 27. November 2009 hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Verletzten Oktay Ö. und Mohamed H. als Nebenkläger wirksam der öffentlichen Klage angeschlossen haben; der Vorsitzende der Kammer hat ihnen mit Beschluss vom selben Tage auf ihren entsprechenden Antrag hin gemäß § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO Rechtsanwältin F. als Beistand bestellt.
Gegen beide Beschlüsse wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Er trägt vor, die Anschlusserklärungen der zum Zeitpunkt ihrer Abgabe noch minderjährigen Verletzten seien mangels eigener Prozessfähigkeit und Genehmigung der Erklärung durch die Personensorgeberechtigten unwirksam. In der Zulassung ihrer Nebenklage liege eine unzulässige Verkürzung der verfassungsrechtlich geschützten Elternrechte.
Die Kammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Die Beschwerde gegen den Kammerbeschluss ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft; § 305 Satz 1 StPO steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen (jetzt allg.M., vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 396 Rdn. 19 m.w.N.). Der Angeklagte ist durch die Entscheidung auch beschwert, denn der Nebenkläger tritt aus seiner Sicht als weiterer, nach § 397 Abs. 1 StPO mit weit reichenden Befugnissen ausgestatteter "Gegner" (vgl. § 303 StPO) neben die Staatsanwaltschaft. Im Falle einer Verurteilung trifft den Angeklagten zudem eine zusätzliche Kostenlast.
II.
Die Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung des wirksamen Nebenklageanschlusses durch den Verletzten H. richtet. Das Landgericht hat zu Unrecht die Wirksamkeit der Anschlusserklärungen der zum Zeitpunkt ihrer Abgabe 16 und 14 Jahre alten, gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 StPO zum Anschluss berechtigten Verletzten festgestellt.
1.
Der Senat hält im Ergebnis daran fest, dass die Anschlusserklärung des Nebenklageberechtigten als Prozesserklärung nur wirksam ist, wenn dieser entweder prozessfähig ist oder der Personensorgeberechtigte ihn bei der Anschlusserklärung vertritt bzw. seine Erklärung genehmigt (vgl. BGHR StPO § 401 Abs. 1 Satz 1 Zulässigkeit 3; RGSt 37, 63; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. März 1999 - 4 Ws 57/99, 4 Ws 58/99 - [bei [...]]; BayObLG JR 1957, 149; BayObLG NJW 1956, 681 ; OLG Hamm VRS 13, 213; KG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 1 Ws 37/09 - [bei [...]]; Senat, Beschluss vom 23. März 2009 - 4 Ws 26/09 -; LG Kassel NJW 1960, 62; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., vor § 395 Rdn. 7; Hilger in LR, StPO 26. Aufl., § 395 Rdn. 28; Senge in KK, StPO 6. Aufl., vor § 395 Rdn. 2; Velten in SK, StPO 28. Aufbaulieferung, § 395 Rdn. 6).
Diese Auslegung folgte vor den Änderungen der Nebenklagevorschriften durch das Erste Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren - Opferschutzgesetz (OpferSchutzG) ...