Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Gericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat und sich des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist.

2. Die Sanktionsentscheidung nach § 47 Abs. 1 StGB bedarf - dem Ausnahmecharakter der Norm entsprechend - einer besonderen und eingehenden Begründung. Aus den Urteilsgründen muss nachvollziehbar hervorgehen, dass sich die Sanktion bei Gesamtwürdigung der die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist; erforderlich ist die umfassende Feststellung und erschöpfende Würdigung aller tat- und täterbezogenen Umstände, die unter Beachtung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses für und gegen die Unverzichtbarkeit einer freiheitsentziehenden Einwirkung sprechen.

3. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB vorliegen, ist auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung und nicht auf den Zeitpunkt der Tatbegehung abzustellen. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des Angeklagten sind nicht erst im Rahmen der Bewährungsentscheidung, sondern schon bei der Frage zu prüfen, ob die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich ist.

4. Es gelten erhöhte Begründungsanforderungen, wenn das Gericht die Voraussetzungen der Unerlässlichkeit einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten bejaht, ihm aber dennoch eine günstige Prognose stellt. Die Annahme der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB zieht regelmäßig eine negative Indizwirkung für die Aussetzungsfrage nach sich; die Urteilsgründe zu § 47 StGB und zu § 56 StGB dürfen sich nicht widersprechen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 07.12.2016; Aktenzeichen (575) 253 AR 79/16 Ns (47/16))

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Angeklagten wegen Diebstahls (von Lebensmitteln und Getränken zu einem Verkaufspreis von insgesamt 9,58 Euro) eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt. Auf die Berufung des Angeklagten, die dieser in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Landgericht Berlin das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde. Die Revision des Angeklagten hat mit der allein erhobenen Sachrüge Erfolg.

1. Das Landgericht ist zutreffend von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen, was der Senat auf die allgemeine Sachrüge von Amts wegen zu prüfen hatte.

2. Jedoch kann die auf der Grundlage der bindend gewordenen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils getroffene Rechtsfolgenentscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben, da die Begründung der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe an einem Erörterungsmangel leidet.

a) Grundsätzlich ist die Strafzumessung Sache des Tatrichters und eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ausgeschlossen. Die Nachprüfung hat sich allerdings darauf zu erstrecken, ob der Tatrichter bei der Zumessung der Strafe von unrichtigen oder unvollständigen Erwägungen ausgegangen ist oder sonst von seinem Ermessen in rechtsfehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat. In dem tatrichterlichen Urteil müssen daher nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO die für die Bemessung der Strafe wesentlichen Umstände so vollständig wiedergegeben sein, dass es möglich ist, das dabei ausgeübte Ermessen auf Rechtsfehler zu überprüfen (zum Ganzen vgl. BGHSt 34, 345; eingehend KG, Beschluss vom 9. Dezember 2014 - [4] 161 Ss 205/14 [253/14] - m.w.N.; KG, Beschluss vom 4. November 2008 - [4] 1 Ss 375/08 [249/08] - juris).

Die dargelegten Grundsätze zur Kontrolldichte gelten auch bei der Frage, ob die Voraussetzungen für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB gegeben sind (vgl. Maier in Münchener Kommentar, StGB 3. Aufl., § 47 Rdn. 61). Das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge zu prüfen, ob der Tatrichter maßgebliche Begriffe des materiellen Rechts - insbesondere die Begriffe der Unerlässlichkeit und der besonderen Umstände - verkannt hat, von unvollständigen, widersprüchlichen oder unrichtigen Erwägungen ausgegangen ist oder die Grenzen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums sonst wie überschritten hat (vgl. OLG Nürnberg OLGSt StGB § 47 Nr.10 - juris Rdn. 12; Dahs, Die Revision im Strafprozess 8. Aufl., Rdn. 477). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Gericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat (vgl. BGH StraFo 2010, 500 - juris; OLG Dresden StV 2016, 649 - juris Rdn. 19) und sich des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist (vgl. KG StV 2007,...

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