Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn das tatrichterliche Urteil entgegen § 77b OWiG keine Gründe enthält

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 16.02.2010; Aktenzeichen 337 OWi 880/09)

 

Tenor

Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 16. Februar 2010 zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde wird das genannte Urteil aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen mit Urteil vom 16. Februar 2010 wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 41 Abs. 2 (zu ergänzen: Nr. 7 Zeichen 274), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 160,00 Euro verurteilt. Der Verteidiger des Betroffenen hat mit Schriftsatz vom 26. März 2010 Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist beantragt. Mit Schriftsatz vom 19. April 2010 hat er das Rechtsmittel als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde bezeichnet, die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt, insbesondere einen Verstoß gegen § 338 Nr. 7 StPO wegen fehlender Urteilsgründe geltend gemacht und die allgemeine Sachrüge erhoben. Mit Beschluss vom 14. Juni 2010 hat das - für diese Entscheidung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 46 Abs. 1 StPO nicht zuständige - Amtsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für den Zulassungsantrag gewährt. Das keine Gründe enthaltende Urteil ist dem Verteidiger des Betroffenen am 19. Juli 2010 zugestellt worden.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuzulassen.

Zwar führt allein die hier auf die erhobene Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 7 StPO als auch auf die allgemeine Sachrüge hin zu beachtende Tatsache, dass das Amtsgericht, obwohl die Voraussetzungen des § 77 b OWiG nicht vorlagen, das Urteil nicht mit Entscheidungsgründen versehen hat, nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Denn in jedem Fall ist die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG erforderlich. Dabei können jedoch in dem durch den Zulassungsantrag eingeleiteten Vorschaltverfahren diese Voraussetzungen, jedenfalls bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten ohne erkennbare Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden, wobei etwaige Zweifel daran, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, auch aus dem Bußgeldbescheid, dem Zulassungsantrag und sonstigen Umständen, wie zum Beispiel dienstlichen Äußerungen, ausgeräumt werden können (vgl. BGH NStZ 1997, 39; OLG Celle, NdsRpfl. 1997, 52; OLG Köln NZV 1997, 371; OLG Stuttgart NZV 2009, 522). Kann jedoch ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen und können etwaige Zweifel auch nicht unter Heranziehung der oben genannten Erkenntnismöglichkeiten ausgeräumt werden, so führt in einem solchen Fall das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrages (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Februar 2005 - 1 Ss 227/04 - [...] Rn. 7; OLG Brandenburg VRS 116, 279). So ist es hier.

Vorliegend ist der Betroffene, wie sich aus dem Urteilstenor in Verbindung mit dem Bußgeldbescheid ergibt, wegen fahrlässigen Überschreitens der durch Verkehrszeichen auf 30 km/h festgelegten zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt worden. Nach dem Bußgeldbescheid soll die Überschreitung (nach Toleranzabzug) 21 km/h betragen haben. Der Bußgeldbescheid weist lediglich aus, dass eine Geschwindigkeitsmessung durch die Polizei mit einem Geschwindigkeitsmessgerät durchgeführt wurde und ein Lasermessprotokoll vorhanden sein soll. Allein daraus ergibt sich noch nicht, ob die Geschwindigkeitsmessung in einem standardisierten Messverfahren erfolgt ist. Selbst wenn man aufgrund des im Protokoll enthaltenen Vermerks, Blatt 82 der Akte sei in Augenschein genommen und erörtert worden, Blatt 82 der Akten heranzieht, nach dem eine Messung mit dem Laser-Messgerät LAVEG durchgeführt wurde und demnach der Geschwindigkeitsmessung ein allgemein anerkanntes standardisiertes Messverfahren (vgl. Senat NZV 2004, 153) zugrunde lag, lässt sich dem Hauptverhandlungsprotokoll andererseits auch entnehmen, dass der bei der Geschwindigkeitsmessung eingesetzte Polizeibeamte K. auf Frage des Verteidigers erklärt hat, er habe "an dem Tage in einzelnen Fällen gegen die Richtlinien verstoßen". Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass infolge Abweichungen von der Gebrauchsanweisung für das Messgerät es sich vorliegend nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren, sondern ein individuelles handelte, das nicht mehr die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann und wegen...

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