Entscheidungsstichwort (Thema)

Einschränkung der Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Ladung von Entlastungszeugen. Prüfung des Absehens vom Fahrverbot wegen Zeitablaufs

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Die gerichtliche Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Ladung von Entlastungszeugen ist in den Fällen eingeschränkt, in denen der in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene anhand eines bei der Tat gefertigten Lichtbildes nach Auffassung des Tatgerichts eindeutig identifiziert worden ist. Die Verpflichtung, in einem solchen Fall dennoch einen Zeugen zu laden, hängt dann von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

2. Im Fall der Identifizierung anhand eines Lichtbildes müssen die tatrichterlichen Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

3. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

4. Der Umstand, dass sich der Betroffene zwischen Tatbegehung und tatrichterlichem Urteil - erneut - nicht verkehrsgerecht verhalten hat, spricht für die Erforderlichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes.

 

Normenkette

OWiG § 71 Abs. 1, §§ 77, 79; StPO § 244 Abs. 2, § 267 Abs. 1 S. 3, § 344 Abs. 2; StVG § 25 Abs. 1, § 29 Abs. 1; BKatV § 4 Abs. 2, 4

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 27.09.2021; Aktenzeichen 290 OWi 655/20)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. September 2021 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Auf den gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 25. Februar 2020 gerichteten Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht Tiergarten mit Urteil vom 27. September 2021 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Pkw am 31. Oktober 2019 um 2.26 Uhr in x Berlin den Bundesautobahn A 100 Tunnel in Richtung Bundesautobahn A 113 befuhr. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war mit Zeichen 274 auf 80 km/h beschränkt. Die Geschwindigkeitsmessung ergab mittels TRAFFIPAX TraffiStar S 330 eine Geschwindigkeit von 111 km/h, festgestellt wurde abzüglich einer Toleranz von 4 km/h eine dem Betroffenen vorzuwerfende Geschwindigkeit von 107 km/h und dementsprechend eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 27 km/h.

Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene um die Geschwindigkeitsbegrenzung wissen können und müssen und hätte die Geschwindigkeitsüberschreitung vermeiden können.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der erhobenen Verfahrensrüge bleibt der Erfolg versagt.

Es kann dahinstehen, ob eine den Begründungsanforderungen des § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Verfahrensrüge vorliegt. Jedenfalls ist diese nicht begründet. Die Rüge, der Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen A sei zu Unrecht abgelehnt worden, verhilft der Rechtsbeschwerde weder als Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs noch als Aufklärungsrüge zum Erfolg.

a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs dringt nicht durch.

Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist bei der Ablehnung von Beweisanträgen nur dann gegeben, wenn eine solche ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung erfolgt und sich die Zurückweisung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken aufgrund besonderer Umstände als nicht mehr verständlich und daher willkürlich darstellt (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; Senat, Beschluss vom 22. September 2020 - 3 Ws (B) 182/20 -, juris m.w.N.; OLG Hamm NZV 2008, 417).

Das in der Rechtsmittelschrift geschilderte Verfahrensgeschehen zeigt nicht auf, dass der Beweisantrag in einer solchen das rechtliche Gehör verletzenden Weise abgelehnt worden ist. Allein unter Heranziehung der in den Urteilsgründen niedergelegten Erwägungen zur Ablehnung des Beweisantrages ist dem Rügevorbringen nicht zu entnehmen, was die als rechtswidrig angegriffene Ablehnung des Beweisantrages über einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften - namentlich der Verletzung des Beweisantragsrechts - hinaushebt und ihr das besondere Gewicht der Versagung des rechtlichen Gehörs verleihen würde. Insbesondere bietet das wiederg...

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