Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 11.04.2011)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. April 2011 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Das Landgericht hat auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft den Strafausspruch dahin geändert, dass die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.

1. Das Landgericht hat die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch für wirksam erachtet und die folgenden amtsgerichtlichen Feststellungen zu den Taten für bindend angesehen:

"Der Angeklagte verwahrte am 23. März 2010 in seiner Wohnung in der Koloniestraße 123a in 13359 Berlin 20.000 Gramm eines Koffein/Paracetamolgemisches in 41 Beuteln zum gewinnbringenden Verkauf."

2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht zu Unrecht angenommen hat, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das amtsgerichtliche Urteil wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden sei und daher die Feststellungen zum Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen seien.

a) Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf die Rechtsfolgen hat zur Voraussetzung, dass eine tragfähige Grundlage für die neu festzusetzenden Rechtsfolgen vorhanden ist. Der Schuldspruch und die ihm zugrunde liegenden Feststellungen müssen eine isolierte Betrachtung der Rechtsfolgen ermöglichen. Eine Beschränkung ist daher ausgeschlossen, wenn die Feststellungen zum Schuldspruch so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass das Berufungsgericht eine Entscheidung über die Rechtsfolgen nicht treffen kann, ohne erneut die Schuldfrage zu prüfen. Auch dann, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen nicht hinreichend klar erkennen lassen, ob überhaupt die Voraussetzungen strafbaren Handelns gegeben sind, kann eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch keine Anerkennung finden (vgl. KG, Beschluss vom 30. November 2005 - (5) 1 Ss 321/05 (56/05) -). Die dürftigen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils belegen keine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG.

3. Unerlaubtes Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG setzt voraus, dass der Täter entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 Satz 1 AMG mit Arzneimitteln handelt, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen.

Paracetamol-Coffein-Mischungen sind Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG, denn sie sind dazu bestimmt, durch Anwendung im menschlichen Körper die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, unabhängig davon, ob sie als sog. Fertigarzneimittel, aber auch, regelmäßig in anderem Mischverhältnis, als Streckmittel für Drogen verkauft werden. Auch in letzterem Fall kommt ihnen im Hinblick auf ihre pharmakologische Wirkung Arzneimittelqualität zu, obwohl sie ihrer Zweckbestimmung nach noch nicht unmittelbar zur Abgabe an den Endverbraucher bestimmt sind (vgl. BGH NStZ 2008, 530).

Gemäß § 1 Nr. 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) in Verbindung mit der Anlage 1 dieser Verordnung sind Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paracetamol grundsätzlich verschreibungspflichtig. Paracetamol ist im Bereich der Humanmedizin mit Wirkung vom 1. April 2009 in die Liste der verschreibungspflichtigen Stoffe aufgenommen worden. Von der Verschreibungspflicht sind nur solche diesen Wirkstoff enthaltenen Mittel ausgenommen, die der symptomatischen Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und/oder von Fieber beim Menschen dienen und eine Gesamtwirkstoffmenge von bis zu 10 g je Packung nicht übersteigen. Für alle anderen Verwendungszwecke - auch als Streckmittel - bleibt das Gemisch unabhängig von der Wirkstoffmenge verschreibungspflichtig.

Zur Überprüfung, ob das Paracetamol-Coffein-Gemisch verschreibungspflichtig war, wären daher Feststellungen zum Verwendungszweck und der Wirkstoffmenge des Paracetamol notwendig gewesen, auch wenn es nahe liegt, dass ein in einer Wohnung "zum gewinnbringenden Verkauf" verwahrtes Koffein/Paracetamol-gemisch von 20 Kilogramm als Streckmittel verkauft werden sollte. Die völlig unzureichenden Ausführungen im amtsgerichtlichen Urteil können jedoch konkrete Feststellungen zum Verwendungszweck nicht belegen.

4. Auch für die Strafzumessung wären Ausführungen zum Verwendungszweck erforderlich gewesen; denn sollte das Gemisch des Angeklagten als Streckmittel für Drogen verwendet werden sollen, wär...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge