Leitsatz (amtlich)
1. Liegt ein Fall an sich nicht notwendiger Verteidigung vor, so ist dem Angeklagten für die Mitwirkung am Revisionsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Voraussetzungen des § 350 Abs. 3 Satz 1 StPO oder des § 140 Abs. 2 StPO gegeben sind.
2. Dem Angeklagten ist ein Verteidiger zu bestellen, wenn es um die Abfassung besonders schwieriger, den als Urkundsbeamten tätigen Rechtspfleger überfordernder Revisionsrügen geht oder wenn der Angeklagte aufgrund objektiver Umstände des Verfahrensgeschehens oder subjektiver Eigenschaften nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die Revision unter Mitwirkung des Urkundsbeamten zu begründen.
3. Eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO setzt voraus, dass eine besondere Verfahrensvorschrift verletzt worden ist. Zwischen dem Verfahrensfehler und dem Urteil muss eine konkret-kausale Beziehung bestehen; die Beschränkung muss in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt liegen und in einem in der Hauptverhandlung ergangenen Gerichtsbeschluss enthalten sein. Diese Umstände sind in der Revisionsbegründung darzulegen.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 2, § 338 Nr. 8, § 350 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 21.04.2015; Aktenzeichen (240 Cs) 231 Js 488/14 (169/14)) |
Tenor
1. Der Antrag des Angeklagten, ihm für das Revisionsverfahren Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger beizuordnen, wird abgelehnt.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. April 2015 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 17. September 2015 hat vorgelegen. Er gibt zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten nach vorangegangenem Strafbefehlsverfahren am 21. April 2015 wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt und den sichergestellten Schal eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die Rechtsanwalt S. als Wahlverteidiger mit Schriftsatz vom 24. Juli 2015 - am letzten Tag der Frist nach § 345 Abs. 1 StPO - unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge sowie verschiedener Verfahrensrügen begründet hat.
1. Der am 21. Juli 2015 eingegangene Antrag des Angeklagten auf Beiordnung von Rechtsanwalt S. "für die Revision bzw. Revisionsbegründung", über den nach Übersendung der Akten an das Revisionsgericht (§ 347 Abs. 2 StPO) dessen Vorsitzender zu befinden hat (vgl. OLG Rostock NStZ-RR 2010, 342), bleibt erfolglos.
a) Liegt - wie hier - ein Fall an sich nicht notwendiger Verteidigung vor, so ist dem Angeklagten für die Mitwirkung am Revisionsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Voraussetzungen des § 350 Abs. 3 Satz 1 StPO oder des § 140 Abs. 2 StPO gegeben sind (vgl. KG, Beschluss vom 28. Januar 2013 - [4] 121 Ss 16/13 [22/13] -; Laufhütte/Willnow in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 140 Rdn. 5 f.; Gericke, aaO., § 350 Rdn. 11 f.). Beides ist hier nicht der Fall.
aa) Die Bestellung eines Verteidigers nach § 350 Abs. 3 Satz 1 StPO kommt ersichtlich nicht in Betracht, weil sich der Angeklagte auf freiem Fuß befindet und eine Hauptverhandlung im vorliegenden Revisionsverfahren nicht erforderlich ist (vgl. KG aaO.). Der Senat kann im Beschlusswege entscheiden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat einen Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO gestellt; eine (auch teilweise) Aufhebung und Zurückverweisung wäre ebenfalls im schriftlichen Verfahren gemäß § 349 Abs. 4 StPO möglich.
bb) Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor. Eine die Beiordnung gebietende Schwere der Tat ist in Anbetracht der vom Amtsgericht verhängten geringfügigen Geldstrafe, die dem Verschlechterungsverbot unterliegt (§ 358 Abs. 2 StPO), ersichtlich nicht gegeben. Ebenso wenig liegt nach den Gesamtumständen ein "schwerwiegender Fall" vor, in dem die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen des Anspruchs auf ein faires Verfahren geboten wäre (dazu vgl. BVerfGE 46, 202 - juris Rdn. 32; BVerfGE 39, 238 - juris Rdn. 15).
Im Übrigen ist zwar anerkannt, dass dem Angeklagten ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn es um die Abfassung besonders schwieriger, den als Urkundsbeamten tätigen Rechtspfleger überfordernder Revisionsrügen geht (vgl. OLG Koblenz StraFo 2007, 117 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 140 Rdn. 29) oder wenn der Angeklagte aufgrund objektiver Umstände des Verfahrensgeschehens oder subjektiver Eigenschaften nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die Revision unter Mitwirkung des Urkundsbeamten zu begründen (vgl. OLG Karlsruhe StraFo 2006, 497; Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 140 Rdn. 98, 117; zum Ganzen vgl. OLG Saarbrücken StraFo 2009, 518; KG NStZ 2007, 663). Auch nach diesen Grundsätzen kommt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers hier jedoch jedenfalls im derzeitigen Verfahrensstadium nic...