Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung der Kostenregelung eines Prozessvergleichs

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; RVG-VV Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4; RVG-VV Nrn. 3100, 2300

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 27.06.2007; Aktenzeichen 16 O 179/06)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Beklagten nach einem Wert bis zu 900 EUR zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die sofortige Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hat, ist nach §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig. Insbesondere ist das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt worden und der Beschwerdewert von mehr als 200 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO) erreicht. II. Die sofortige Beschwerde, mit der die Beklagte die Festsetzung lediglich einer durch Anrechnung der halben Geschäftsgebühr (Nr. 2300 RVG-VV) verkürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV verlangt, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das LG bei der Festsetzung der Anwaltskosten des Klägers nach dem Prozessvergleich der Parteien vom 5.9.2006 die Verfahrensgebühr mit einem Satz von 1, 3 gegen die Beklagte angesetzt, ohne zu berücksichtigen, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers für seine in derselben Sache erbrachte vorgerichtliche Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV angefallen ist. Grundlage der Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO ist der von den Parteien am 5.9.2006 geschlossenen Prozessvergleich, wonach die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs trägt. Diese Vereinbarung ist dahin zu verstehen, dass die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV zum erstattungsfähigen Prozessaufwand des Klägers zählt ohne Rücksicht darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers wegen desselben Gegenstandes vorgerichtlich tätig geworden ist und aus diesem Grund seinem Mandanten die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV nur in verminderter Höhe, nämlich nach Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr, in Rechnung stellen darf.

Bei der Auslegung der Kostenregelung dieses Vergleichs nach §§ 133, 157 BGB ist zu berücksichtigen, dass die in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV - RVG vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der seinerzeit ganz herrschender Auffassung grundsätzlich keinen Einfluss auf den prozessualen Kostenerstattungs-anspruch der obsiegenden Partei hatte. Dabei wurde schon damals weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur zum Kostenrecht je ernsthaft bezweifelt, dass die nach anwaltlichem Gebührenrecht vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht die vom Anwalt (bereits verdiente) Geschäftsgebühr berührt, sondern den Anspruch des Anwalts auf die Verfahrensgebühr verringert (Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. 2006, Nr. 2300-2301 RVG-VV Rz. 44; AnwKom-RVG/Onderka, Schneider, 3. Aufl. 2006, Vorbem. 3 RVG-VV Rz. 199; Bischoff, RVG, 2. Aufl., 2007; Vorbem. 3 VV, Rz. 99 f. - jeweils mit Rechenbeispielen; Hansens, RVG-Report 2005, 392 f.; ebenso zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die entsprechende Verfahrensgebühr nach § 118 Abs. 2 BRAGO: Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 118 Rz. 49). Doch blieb die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach fast einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich ohne Auswirkung auf die Kostenerstattung (Senat, AGS 2005, 515; ausführlicher AGS 2007, 439; OLG Hamm, JurBüro 2006, 202; OLG Schleswig AnwBl. 1997, 125; Riedel/Sußbauer/Keller, RVG, 9. Aufl. 2005, VV Teil 3 Vorbem. 3, Rz. 66; AnwKom-RVG/Onderka, Schneider, a.a.O., Rz. 192; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., 2006; Vorbem. 3 RVG-VV, Rz. 80, 81; Bischoff, RVG, 2. Aufl. 2007, Vorbem. 3 VV, Rz. 103 ff.; 108; von Eicken, Kostenfestsetzung, 18. Aufl. 2003; Rz. B 566; Hansens, RVGreport 2005, 393; ders. ZAP 2007, Fach 24, S. 1069; Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Stöber, AGS 2005, 45 ff.; Schneider, NJW 2007, 2006; a.A. Schultze-Rhonhof, RVGreport 2005, 374). Jedenfalls im Bereich des Zivilprozesses zählte die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV zu den gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 2 ZPO erstattungsfähigen notwendigen Kosten der Prozessführung. Der neben dem materiellen Kostenerstattungsanspruch bestehende, nicht notwendig deckungsgleiche prozessuale Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung ihrer durch die Prozessführung entstandenen Kosten wurde ohne Rücksicht auf die - hälftige - Anrechnung der Geschäftsgebühr berechnet. Denn die Aufwendungen für die vorgerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten hatten bei der Festsetzung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, und zwar sowohl im Positiven (keine Festsetzung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren) als auch im Negativen (keine Berücksichtigung der Geschäftsgebühr durch Anrechnung auf die Verfahrensgebühr). An dieser bereits unter der Geltung der BRAGO geübten Praxis hat sich die Auslegung der hier vereinbarten Kostenregelung aus Gründen des Vertrauensschutzes auszurichten. Die anders ...

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