Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen Anklagegrundsatz im Berufungsverfahren
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Allein die zeitliche und örtliche Verknüpfung von Tathandlungen führt für sich genommen noch nicht zur Annahme einer einheitlichen Tat im Sinne von § 264 StPO. Hinzutreten muss eine innerliche Verknüpfung dergestalt, dass der gesamte Unrechts- und Schuldgehalt nur einheitlich beurteilt werden kann.
2. Hat das Amtsgericht seiner Entscheidung eine nicht angeklagte Tat im Sinne von § 264 StPO zum Gegenstand der Entscheidungen gemacht, ohne über die angeklagte Tat entschieden zu haben, muss das Berufungsgericht das Verfahren hinsichtlich der nicht angeklagten Tat wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO einstellen.
3. Hinsichtlich des angeklagten, noch nicht abgeurteilten Tatgeschehens bleibt das Verfahren weiterhin bei dem Amtsgericht anhängig.
Normenkette
StPO §§ 206a, 264
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 15.08.2019; Aktenzeichen (581) 284 Js 688/18 Ls Ns (118/18)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. August 2019 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse Berlin auferlegt.
Gründe
I.
Mit am 19. Juni 2018 vor dem Amtsgericht Tiergarten - Schöffengericht - erhobener Anklage vom 27. April 2018 hat die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten vorgeworfen, eine Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 1 StGB begangen zu haben. Sie hat ihm folgendes zur Last gelegt:
Am 27. September 2017 habe sich die Zeugin H. gegen 20:00 Uhr in die Wohnung des Angeklagten in der C.-Straße in B. begeben, um mit ihm einvernehmlich Geschlechtsverkehr mit Kondom zu vollziehen. Zuvor habe die Zeugin wiederholt deutlich gemacht, keine anderen sexuellen Handlungen zu wünschen. Beim Vollzug des Beischlafs habe der Angeklagte die Zeugin unvermittelt am Hals erfasst und sie kraftvoll auf das Bett gedrückt. Die Zeugin habe erklärt, der Angeklagte solle dies lassen, woraufhin dieser mit seinen Ellenbogen unter die Beine der Zeugin gefasst, diese angehoben und ihre Arme nach unten gedrückt habe, so dass sich die Zeugin nicht mehr habe bewegen können. Nunmehr habe der Angeklagte den Analverkehr vollzogen, obwohl die Zeugin vor Schmerzen geschrien habe, vergeblich nach ihm habe treten wollen, angefangen habe zu weinen und aus dem After geblutet habe. Anschließend habe die Zeugin die Wohnung verlassen können.
Das Amtsgericht hat die Anklage mit Beschluss vom 9. Juli 2018 unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsgericht Tiergarten - Schöffengericht - zur Hauptverhandlung zugelassen und den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 15. August 2018 - nach einem gemäß § 265 StPO erteilten rechtlichen Hinweis - wegen Verletzung des vertraulichen Wortes nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,- Euro verurteilt. Den Vorwurf der angeklagten Vergewaltigung hat es als nicht erwiesen angesehen, eine entsprechende Entscheidung aber nicht in den Urteilstenor aufgenommen.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Das Landgericht hat die Berufung durch Urteil vom 15. August 2019 verworfen. Es hat folgende Feststellungen getroffen:
"Am Abend des 27.9.2017 begab sich der Angeklagte mit der Zeugin H. [...] in seine 40 qm große Wohnung, bestehend aus Küche Bad und einem großen Raum, in der C.-Straße in B. Der Angeklagte hatte auf dem Küchentisch eine Überwachungskamera mit Tonaufzeichnung installiert, die den Bereich um die Eingangstür filmt und sämtliche Geräusche in der Wohnung aufnimmt, wobei die Kamera auf Bewegung und Licht reagiert und sich wieder abschaltet, wenn es eine Zeit lang keine derartigen Reize gegeben hat. Die Film- und Tonaufnahmen dieser Überwachungskamera werden auf einer SD-Karte gespeichert und automatisch gelöscht, wenn der Speicherplatz der SD-Karte erschöpft ist; dies kann mehrere Monate dauern. Der Angeklagte hatte diese Überwachungskamera aus Furcht vor Einbrüchen installiert, insbesondere wegen seiner wertvollen Fotoausrüstung. Während der Dauer des Besuchs der Zeugin H. und des gemeinsamen Geschlechtsverkehrs nahm die Kamera zwischen 19:30 und 21:30 Uhr immer wieder Gespräche der Zeugin sowie deren Geräusche auf; zudem wurde sie beim Betreten und Verlassen der Wohnung sowie beim Gang ins Badezimmer auch gefilmt. [...] Nachdem dem Angeklagten der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht worden war, überspielte er die Dateien auf seinen Rechner, speicherte sie auf eine DVD und legte sie in der erstinstanzlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten im Rahmen der Beweisaufnahme vor."
Ausführungen zum Vorwurf der Vergewaltigung enthält dieses Urteil, dessen schriftlichen Urteilsgründe dem Verteidiger des Angeklagten am 22. August 2019 zugestellt worden sind, nicht.
Mit Schrift...