Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage des anzuhörenden Jugendamts in Berlin in familienrechtlichen Verfahren betreffend allein eingereiste Minderjährige. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Senatsverwaltung und Jugendamt erfordert ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung.

2. Zur Amtsaufklärungspflicht des Familiengerichts in Verfahren über die Anordnung der Vormundschaft bezüglich der zweifelhaften Minderjährigkeit und der Feststellung des Todes der Eltern.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 23.11.2011; Aktenzeichen 86 F 186/11)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Vormunds wird der Beschluss des AG Schöneberg vom 23.11.2011 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung an das AG zurückverwiesen.

Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG nach Anhörung der hochschwangeren G.S., die nach ihrer Meldung in der Erstaufnahme- und Clearingstelle in Obhut genommen wurde, Vormundschaft nach § 1774 Abs. 1 BGB angeordnet, weil ihre Eltern verstorben seien. Bei ihrer persönlichen Anhörung hätten sich keine Zweifel an ihrer Minderjährigkeit ergeben. Der Antragsteller sei angehört worden und dieser sei Jugendamt nach § 162 Abs. 1 S. 2 FamFG gem. Nr. 2 S. 1 AV-JAMA vom 10.6.2008.

G.S.ist nach ihren Angaben mit dem am 12.12.1993, korrigiert fiktiv am 31.12.1992 geborenen G.S.seit dem 20.4.2011 verheiratet.

Mit Schreiben vom 28.11.2011 hat der Antragsteller mitgeteilt, dass eine Ehegattenzusammenführung erfolgt sei. Inzwischen ist das Kind von G.S.geboren.

Mit Beschluss des AG Schöneberg vom 1.2.2012 zur Geschäftsnummer 86 F 203/11 (16 WF 60/12) ist der Beteiligte zu 1. zum Vormund gem. § 1791b BGB bestellt worden.

Gegen den ihm nicht zugestellten angefochtenen Beschluss hat der Vormund - das Jugendamt S.-Z...f - Beschwerde eingelegt.

B Die gem. §§ 58 ff., 162 Abs. 3. S. 2 FamFG zulässige Beschwerde ist begründet und führt auf den entsprechenden Antrag des Vormunds zur Zurückverweisung der Sache an das AG (§ 69 Abs. 1 S. 3 FamFG).

Das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, weil das AG das Jugendamt verfahrensfehlerhaft nicht nach § 162 Abs. 1 FamFG angehört hat, und es sind umfangreiche Ermittlungen erforderlich.

Im Verfahren zuständiges und zu beteiligendes Jugendamt war und ist das Jugendamt des Bezirks (§§ 86 Abs. 4, 87b SGB 8) und nicht die Senatsverwaltung ... Die gegenteilige Auffassung des AG kann nicht auf Nr. 2 AV-JAMA vom 10.6.2008 gestützt werden. Dabei mag offen bleiben, ob Art. 67 (4, 66) VvB überhaupt eine Zuständigkeitsverteilung durch eine AV zulässt und dass die Regelung in § 33 Abs. 2 AG-KJHG dahin zu verstehen ist, dass allenfalls die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter durch AV geregelt werden könnte, nicht aber die Frage, ob die Senatsverwaltung oder der Bezirk (sachlich) zuständig ist. Denn die sachliche Zuständigkeit/Aufgabenverteilung ist in § 33 Abs. 1 AG-KJHG geregelt und § 33 Abs. 2 AG-KJHG betrifft die örtliche Zuständigkeit im Aufgabenbereich der Jugendämter der Bezirke. Es kann auch dahin stehen, dass Nr. 2 der AV-JAMA schon nicht anwendbar ist, weil die Betroffene nicht alleinstehend, sondern verheiratet ist (s. auch Nr. 6 Anlage zu § 2 Abs. 4 ASOG). Entscheidend ist vielmehr, dass es hier nicht um die Zuständigkeit für die Inobhutnahme nach § 87 SGB VIII geht, sondern um die Beteiligung am gerichtlichen Verfahren, die in § 87b SGB VIII selbständig geregelt ist und von der AV-JAMA weder berührt wird noch unter Beachtung von Art. 67 VvB berührt werden könnte.

Infolge der verfahrensfehlerhaft unterlassenen Beteiligung des Jugendamts hat das AG die weiteren Erkenntnisse, die erhebliche Zweifel an der Minderjährigkeit aufkommen lassen, nicht berücksichtigen können. Den sich daraus ergebenden Zweifeln wird im Rahmen der Amtsaufklärung (§ 26 FamFG) durch die Einholung eines Gutachtens über die Altersfeststellung nachzugehen sein. Auf den Senatsbeschluss vom 10.4.2012 zur Geschäftsnummer 16 UF 299/11 (86 F 168/11 AG Schöneberg) wird insoweit ergänzend Bezug genommen. Im vorliegenden Fall ergeben sich Zweifel am Alter schon, weil selbst der Antragsteller nun das Geburtsjahr von 1996 auf 1995 nach den Angaben von G.S.korrigiert hat (Schreiben vom 25.11.2011 an die Ausländerbehörde, Bl. 50 d.A.). Zudem stimmen die Angaben von G.S.bei der Anhörung am 23.11.2011, sie sei 15 Jahre alt und werde bald 16 Jahre, nicht mit dem Geburtsdatum 25.12.1996 überein. Wie damit und mit dem auf 1995 korrigierten Geburtsjahr die Erklärung, ihre Mutter sei bei ihrer Geburt 1996 gestorben, in Einklang zu bringen ist, ist derzeit auch fraglich. Die Ausländerbehörde hat in ihrem Schreiben vom 22.11.2011 (Bl. 53 d.A.) erklärt, dass sowohl der Körper als auch die Hände von G.S.auf eine langjährige Tätigkeit hinweisen, die sie aber bestritten hat. Auch diesen Zweifeln ist nachzugehen.

Ferner wird das AG von Amts wegen (§ 26 FamFG) zu klären haben, ob die Eltern von G.S.tatsächlich verstorben sind. In d...

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