Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage des anzuhörenden Jugendamts in Berlin in familienrechtlichen Verfahren betreffend allein eingereiste ausländische Minderjährig. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Senatsverwaltung und Jugendamt erfordert ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung.
2. Zur Amtsaufklärungspflicht des Familiengerichts in Verfahren über das Ruhen der elterlichen Sorge bezüglich der Minderjährigkeit, der Feststellung des Todes eines Elternteils und der Feststellung der Hinderung eines Elternteils an der Ausübung der elterlichen Sorge.
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 21.03.2012; Aktenzeichen 83 FH 6/12) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 4. wird der Beschluss des AG Schöneberg vom 21.3.2012 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung an das AG zurückverwiesen.
Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG nach Anhörung des Betroffenen das Ruhen der elterlichen Sorge beider Eltern nach § 1674 Abs. 1 BGB festgestellt. Der nach Deutschland ohne Eltern eingereiste Betroffene unterhalte keinen Kontakt zu diesen. Bei seiner persönlichen Anhörung hätten sich keine Zweifel an der Minderjährigkeit ergeben. Der Antragsteller sei angehört worden und dieser sei Jugendamt nach § 162 Abs. 1 S. 2 FamFG gem. Nr. 2 S. 1 AV-JAMA vom 10.6.2008.
Der Betroffene hat sein Geburtsdatum mit dem 28.8.1994 angegeben und erklärt, sein Vater sei tot, seine Mutter nicht erreichbar.
Der Beteiligte zu 4., das Jugendamt S...Z...dem der angefochtene Beschluss nicht zugestellt worden ist, hat Beschwerde eingelegt, seine unterlassene Beteiligung und die mangelnde Sachaufklärung des AG gerügt. Die Minderjährigkeit des Betroffenen stehe nicht fest. Nicht einmal die Ausländerakte sei beigezogen worden. Der Verbleib der Sorgeberechtigten sei unklar und nicht aufgeklärt worden. Der Antragsteller habe entgegen § 27 Abs. 2 FamFG keine vollständigen Erklärungen abgegeben.
B Die gem. §§ 58 ff., 162 Abs. 3. S. 2 FamFG zulässige Beschwerde ist begründet und führt auf den entsprechenden Antrag des Beteiligten zu 4. zur Zurückverweisung der Sache an das AG (§ 69 Abs. 1 S. 3 FamFG). Wegen des Antrages kann der Senat offen lassen, ob die Schwere der Verfahrensfehler eine entsprechende Anwendung von § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG gebieten würde.
Das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, weil das AG das Jugendamt, den Beteiligten zu 4., verfahrensfehlerhaft nicht nach § 162 Abs. 1 FamFG angehört hat, und es sind umfangreiche Ermittlungen von Amts wegen erforderlich (§ 26 FamFG), die es unterlassen hat.
Im Verfahren zuständiges und zu beteiligendes Jugendamt war und ist das Jugendamt des Bezirks (§§ 86 Abs. 4, 87b SGB 8) und nicht die S...und ... Die gegenteilige Auffassung des AG kann nicht auf Nr. 2 AV-JAMA vom 10.6.2008 gestützt werden. Dabei mag offen bleiben, ob Art. 67 (4, 66) VvB überhaupt eine Zuständigkeitsverteilung durch eine AV zulässt und dass die Regelung in § 33 Abs. 2 AG-KJHG dahin zu verstehen ist, dass allenfalls die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter durch AV geregelt werden könnte, nicht aber die Frage, ob die Senatsverwaltung oder der Bezirk (sachlich) zuständig ist. Denn die sachliche Zuständigkeit/Aufgabenverteilung ist in § 33 Abs. 1 AG-KJHG geregelt und § 33 Abs. 2 AG-KJHG betrifft die örtliche Zuständigkeit im Aufgabenbereich der Jugendämter der Bezirke. Entscheidend ist vielmehr, dass es hier nicht um die Zuständigkeit für die Inobhutnahme nach § 87 SGB 8 geht, sondern um die Beteiligung am gerichtlichen Verfahren, die in § 87b SGB 8 selbständig geregelt ist und von der AV-JAMA weder berührt wird noch unter Beachtung von Art. 67 VvB berührt werden könnte (Senatsbeschluss vom 24.5.2012 - 16 UF 48/12).
Auch infolge der verfahrensfehlerhaft unterlassenen Beteiligung des Jugendamts hat das AG weitere Erkenntnisse nicht berücksichtigen und nicht erlangen können. Den sich ergebenden Zweifeln zu den Altersangaben des Betroffenen wird im Rahmen der Amtsaufklärung (§ 26 FamFG) auch durch die Einholung eines Gutachtens zum Alter nachzugehen sein. Da die Antragstellerin in allen dem Senat bekannten gleichartigen Verfahren spätere Bemühungen um die Altersfeststellung nicht im Verfahren nachträgt, muss im Wege der Amtsaufklärung auch die Ausländerakte beigezogen werden, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Auf den Senatsbeschluss vom 10.4.2012 zur Geschäftsnummer 16 UF 299/11 (86 F 168/11 AG Schöneberg) wird insoweit ergänzend Bezug genommen. Auch kommt es in Betracht dem Betroffenen aufzugeben, über die Botschaft von G...in Deutschland neue Ausweispapiere zu erlangen, wobei die Botschaft in diesem Verfahren auf Daten des Herkunftslandes zurückgreifen kann. Zweifel bestehen hier insbesondere deshalb, weil die Erklärungen des Betroffenen erhebliche Bedenken an ihrem Wahrheitsgehalt aufkommen lassen. Nach der Erklärung des Betroffenen vom 5.3.2012 hat ihm die Mutter den Flug nach Europa bezahlt,...