Leitsatz (amtlich)
1) a) In Fällen, in denen - wie vorliegend - nicht erkennbar ist, dass die Vergabestelle bei ihrer Kostenschätzung sachfremde Erwägungen angestellt hat, ist die Entscheidung der Vergabestelle, die Ausschreibung nach den Regeln einer Oberschwellenvergabe durchzuführen, für den weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens sowie das sich ggf. anschließende Vergabenachprüfungsverfahren im Hinblick auf § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV bindend, auch wenn das Auftragsvolumen sowohl des Angebots der im Vergabenachprüfungsverfahren beigeladenen Bestbieterin als auch des Angebots der Antragstellerin deutlich unter 5.000.000 EUR liegt.
b) Für das Fehlen sachfremder Erwägungen spricht u.a., dass die Auftragsvolumina der Angebote anderer, nicht beigeladener Bieter die Schwelle von 5.000.000 EUR überschreiten.
2) Sehen die Vergabebestimmungen vor, dass Angebote nur für eines von zwei Losen zulässig ist und bewerben sich zwei Bietergemeinschaften, deren beteiligte Unternehmen z.T., aber nicht vollständig personenidentisch sind, dergestalt, dass die eine Bietergemeinschaft ein Angebot für das eine Los abgibt und die andere Bietergemeinschaft ein Angebot für das andere Los, so sind die Bietergemeinschaften jedenfalls dann vom Vergabeverfahren auszuschließen, wenn die Unternehmen die beiden verschiedenbesetzen Bietergemeinschaften erkennbar zum Zwecke der Umgehung der Vergabebestimmung gebildet haben (sachverhaltliche Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.5.2013, VII - Verg 8/03).
3) Geht der Erteilung des Zuschlags kein ihm begründeter Vergabevermerk der Vergabestelle voraus, ist auf den Vergabenachprüfungsantrag einen nichtzuschlagsfavorisierten Bieters das Vergabeverfahren bis mindestens zu dem Zeitpunkt aufzuheben, der unmittelbar vor der Angebotsabsage liegt.
4) a) Das Eingehen einer Bietergemeinschaft erfüllt ohne weiteres den Tatbestand einer Abrede bzw. Vereinbarung i.S.v. § 1 GWB.
b) Das Ausnutzen von Synergiepotentialen als Grund für das Eingehen einer Bietergemeinschaft lässt den Verstoß gegen § 1 GWB nicht entfallen.
c) Für die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens wegen der Vergaberechtswidrigkeit des Eingehens einer Bietergemeinschaft fehlt dem Mitwettbewerber regelmäßig die Antragsbefugnis i.S.d. § 107 Abs. 2 GWB.
5) Im Rahmen der Interessenabwägung gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB hat das Interesse des Antragstellers an einem rechtmäßigem Ablauf des Vergabeverfahrens im Falle der Erfolgsaussicht seines Vergabenachprüfungsantrags regelmäßig den Vorrang vor dem Interesse der Vergabestelle an einer alsbaldigen Zuschlagserteilung.
Verfahrensgang
Vergabekammer des Landes Berlin (Beschluss vom 26.06.2013; Aktenzeichen VK-B2-03/13) |
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 26.6.2013 gegen den - wegen fruchtlosen Ablaufs der gesetzlichen Entscheidungsfrist gem. § 116 Abs. 2 GWB fingierten - nachprüfungsantragsablehnenden Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 2. Beschlussabteilung (VK-B2-03/13), wird bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel in der Hauptsache verlängert.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
3. Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf bis zu 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Der Antrag ist gem. § 118 Abs. 2 GWB begründet.
Denn die sofortige Beschwerde hat Aussicht auf Erfolg und die Abwägung der Interessen der Beteiligten gebietet es nicht, dass der Vergabezuschlag aufschublos erteilt werden kann. Dies ergibt sich aus Folgendem:
a) Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
So ist die am 26.6.2013 beim KG eingereichte sofortige Beschwerde gem. § 116 Abs. 2 GWB statthaft und wurde gem. § 117 Abs. 1 GWB fristgerecht eingelegt. Denn die Vergabekammer hat mit Schreiben vom 21.6.2013 den Parteien mitgeteilt, dass sie ihre Amtstätigkeit im Zuständigkeitsbereich der vorliegend geschäftsplanmäßig zuständigen 2. Beschlussabteilung mangels personeller Besetzung für absehbare Zeit eingestellt habe und deshalb die Entscheidungsfrist gem. § 113 Abs. 1 GWB für den am 5.2.2013 eingereichten Vergabenachprüfungsantrag nicht verlängern werde (Bl. 348 der Akte der Vergabekammer). Der Umstand, dass es Grundsätzen ordnungsgemäßer, rechtsstaatlicher Verwaltung widerspricht, Vergabenachprüfungsverfahren einer Beschlussabteilung zuzuweisen, die die Landesregierung personell auf absehbare Zeit unbesetzt lässt, ändert nichts daran, dass die Frist des § 113 Abs. 1 GWB verstreicht und so der Weg zu den Gerichten eröffnet wird.
b) Die sofortige Beschwerde ist - nach derzeitigem Sach- und Streitstand - auch begründet. Dies ergibt sich aus Folgendem:
aa) Der Vergabenachprüfungsantrag ist zulässig. Hierzu im Einzelnen:
(1.) Der Schwellenwert von 5.000.000 EUR, dessen Erreichen gem. § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV vorliegend erforderlich ist für die Anwendbarkeit der §§ 102 ff. GWB, ist erreicht.
Denn der Antragsgegner hat das Auftragsvolumen für das streitgegenständliche Los 2 per 11.2.2013 auf deutlich über 5.000.000 EUR geschätzt (Bl....