Leitsatz (amtlich)
1. Zuständig für Beschwerden gegen Entscheidungen des Registergerichts in Verfahren zur Ermächtigung einer Aktionärsminderheit zur Einberufung der Hauptversammlung oder Bekanntmachung des Gegenstands der Beschlussfassung und Bestimmung des Versammlungsvorsitzenden ist das OLG, nicht aber das LG.
2. Der Minderheitsaktionärin steht dann kein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Einberufung einer (ausserordentlichen) Hauptversammlung zu, wenn der Vorstand von sich aus die fällige ordentliche Hauptversammlung einberuft.
3. Erhebt eine Minderheitsaktionärin gegen eine negative Beschlussfeststellung auf der Hauptversammlung Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage, entfällt dadurch nicht ihr Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag an das Registergericht auf Einberufung der Hauptversammlung zur Neuvornahme des angefochtenen Beschlusses.
4. Eine am Gesetzeszweck des § 147 Abs. 1 und 2 AktG orientierte Auslegung hat sich daran zu orientieren, welche Anforderungen an Hauptversammlungsbeschlüsse in der Praxis erfüllt werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Letztbeurteilung über das Bestehen von Schadensersatzansprüchen dem Prozessgericht zukommt.
5. Um das Recht der Minderheitsaktionäre aus § 122 AktG nicht auszuhöhlen, sind an die Annahme eines Rechtsmissbrauchs im Einzelfall strenge Anforderungen zu stellen.
6. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen gem. §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktG handelt es sich um Fälle gesetzlicher Prozessstandschaft und nicht um Fälle der actio pro socio.
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Beschluss vom 27.06.2011; Aktenzeichen 83 HRB 77581 B) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 25.7.2011 gegen den Beschluss des AG Charlottenburg vom 27.6.2011 wird als unzulässig verworfen, soweit das AG Charlottenburg ihr nicht mit Beschluss vom 29.7.2011 abgeholfen hat.
II. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. vom 2.8.2011 gegen den Teilabhilfebeschluss des AG Charlottenburg vom 29.7.2011 wird zurückgewiesen.
III. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses wird zurückgewiesen.
IV. Die Beteiligte zu 2. hat die der Beteiligten zu 1. im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen aussergerichtlichen Kosten zu erstatten.
V. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
VI. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Beteiligte zu 1. hält 56.303 der 322.268 Aktien an der Beteiligten zu 2. Die restlichen Aktien hält die Mehrheitsaktionärin I.AG bzw. die Beteiligte zu 2. als eigene Aktien.
Ursprünglich beantragte die Beteiligte zu 1., sie zu ermächtigen, eine ausserordentliche Haupt-versammlung der Beteiligten zu 2. mit den Tagesordnungspunkten Geltendmachung von Ersatz-ansprüchen gem. § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG und Bestellung eines besonderen Vertreters gem. § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG einzuberufen. Das AG Charlottenburg hat mit Beschluss vom 27.6.2011 (Bl. 164 ff.) beide Anträge als unzulässig zurückgewiesen, da im Entscheidungszeit-punkt der Beteiligten zu 1. das Rechtsschutzbedürfnis für die Anträge fehle, da sie gegen die Be-schlussfassung in der letzten Hauptversammlung mit demselben Antrag nämlich Anfechtungskla-ge vor dem LG Berlin erhoben habe, über diese Klage jedoch noch nicht entschieden sei.
Gegen diesen ihr am 30.6.2011 (Bl. 169) zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1. mit beim AG Charlottenburg am 25.7.2011 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Be-schwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet (Bl. 171 ff.). Das AG Charlottenburg hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.7.2011 (Bl. 200 ff.) teilweise abgeholfen und die Ta-gesordnung der nächsten, von der Beteiligten zu 2. auf den 30.8.2011 einberufenen Hauptver-sammlung um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gem. § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG ergänzt und einen besonderen Vertreter gem. § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bestellt.
Gegen diesen Teilabhilfebeschluss hat die Beteiligte zu 2. mit am 3.8.2011 beim AG Charlottenburg eingegangenem Schriftsatz vom 2.8.2011 (Bl. 226 ff.) ihrerseits Beschwerde eingelegt und zugleich die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses beantragt. Die Teilabhilfe sei unbegründet, weil die Beteiligte zu 1. die Wirksamkeit des von ihr nicht gewünschten Beschlusses bereits im Zivilprozesswege vor dem LG klären lasse. Bei einer Sachentscheidung im hiesigen Beschwerdeverfahren bestehe die Gefahr einander widerstreitender Entscheidungen durch LG und KG. Die Geltendmachung der Ansprüche durch die Beteiligte zu 1. sei rechtsmissbräuchlich. Insbesondere verstoße die Beteiligte zu 1. gegen die sie treffende gesellschaftliche Treuepflicht.
Das AG Charlottenburg hat dieser Beschwerde mit Beschluss vom 3.8.2011 (Bl. 224) nicht abgeholfen.
Die Beteiligten zu 1. und 2. sind wechselseitig den jeweiligen Beschwerden entgegen getreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Entscheidu...