Leitsatz (amtlich)
1. Auch das Sicherungsverfahren, in dem eine einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO angeordnet ist, ist in einer Weise zu betreiben, die der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts gerecht wird. Kann dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot nicht Rechnung getragen werden, weil der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nicht nachkommt, haben die mit der Haftprüfung betrauten Fachgerichte die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen, indem sie die Entscheidung, die Grundlage des Freiheitsentzuges ist, aufheben.
2. Eine unterbliebene Förderung des Verfahrens in einem Zeitraum von fast zwei Monaten ist bei einer Sache, die mit einem einzigen Aktenband (mit weniger als 200 Seiten) weder umfangreich ist noch besondere Schwierigkeiten aufweist und nach der Planung der zuständigen Kammer innerhalb von nur eineinhalb Sitzungstagen einer Entscheidung zugeführt werden soll, nicht vertretbar.
Normenkette
StPO §§ 122, 126a Abs. 2 S. 2; GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 03.09.2015; Aktenzeichen (506a/506 KLs) 274 Js 1058/15 (11/15)) |
Tenor
Der Unterbringungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 3. September 2015 - (506a/506 KLs) 274 Js 1058/15 (11/15) - wird aufgehoben, wobei der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. März 2015 - 384 Gs 70/15 - aufgehoben bleibt.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten, der am 18. März 2015 vorläufig festgenommen wurde und sich ab dem 19. März 2015 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. März 2015 - 384 Gs 70/15 - zunächst in der Justizvollzugsanstalt M. in Untersuchungshaft befand, mit der Anklageschrift vom 10. April 2015 zur Last, am 18. März 2015 in zwei Wohnungen durch deren Fenster eingestiegen zu sein, um sich fremde Sachen rechtswidrig zuzueignen. Dabei soll er in der einen Wohnung eine Teilnahmebestätigung der Wohnungsinhaberin an der B. Tafel entwendet haben. Als die Geschädigte erschienen sein soll, soll sich der Angeklagte mit der Bescheinigung entfernt haben. In der anderen Wohnung soll er aus einer Geldschatulle Bargeld in Höhe von insgesamt Euro 200,00 entnommen haben. Als die anwesende Wohnungsinhaberin ihn bemerkt haben soll, soll er mit der Beute durch das Einstiegsfenster geflohen sein. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird angeführt, dass der geständige Angeklagte die Taten unter anderem zur Finanzierung seines Drogenkonsums begangen habe. Die Anklageschrift ging am 22. April 2015 beim Amtsgericht Tiergarten ein.
Am 23. April 2015 verfügte das Amtsgericht Tiergarten die Zustellung der Anklageschrift. Mit Verfügung vom 4. Mai 2015 veranlasste es die Beiziehung zweier Akten. Nachdem eine der angeforderten Akten nicht eingegangen war, forderte das Amtsgericht Tiergarten sie am 19. Mai 2015 erneut an. Die Beiakte lag sodann am 27. Mai 2015 vor. Da sich aus einer der Beiakten ergab, dass der Angeklagte in der Vergangenheit durch den Sachverständigen Dr. P. psychiatrisch begutachtet worden war, das schriftliche Gutachten aber nicht mehr vorhanden war, bat das Amtsgericht Tiergarten den damaligen Sachverständigen um Übersendung des Gutachtens binnen einer Woche. Mit Beschluss vom 4. Juni 2015 ordnete das Amtsgericht Tiergarten an, den Angeklagten auf seine Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB untersuchen zu lassen, wobei auch die Notwendigkeit einer Unterbringung gemäß § 63 StGB geprüft werden sollte. Die beauftragte psychiatrische Sachverständige Dr. W. erstattete ihr schriftliches Gutachten unter dem 23. Juni 2015. Da die Sachverständige eine Unterbringung des Angeklagten für erforderlich hielt, wobei sie gleichzeitig empfahl, ihn gemäß § 126a StPO vorläufig unterzubringen, beschloss das Amtsgericht Tiergarten am 1. Juli 2015, das Verfahren dem Landgericht Berlin - große Strafkammer - vorzulegen.
Beim Landgericht Berlin sind die Akten am 9. Juli 2015 eingegangen. Am 3. September 2015 hat die Vorsitzende der zum 1. September 2015 neu eingerichteten Hilfsstrafkammer 6a vermerkt, dass ihr die Akte vorgestern vorgelegt worden sei. Noch am 3. September 2015 hat die Kammer beschlossen, das Verfahren zu übernehmen und die Anklage vom 10. April 2015 unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zuzulassen. Darüber hinaus ist unter Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten ein Unterbringungsbeschluss - (506a/506 KLs) 274 Js 1058/15 (11/15) - ergangen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass dringende Gründe für die Annahme vorhanden seien, dass der Angeklagte die ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten im Zustand der verminderten Schuldunfähigkeit begangen habe und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werde. Der Schutz der Allgemeinheit gebiete die einstweilige Unterbringung. Die Anordnung sei verhältnismäßig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Unterbringungsbeschluss Bezug genommen.
Am 7. September 2015 ist dem Angeklagten der Unterbringungsbeschluss bekannt gem...