Leitsatz (amtlich)
Besteht der konkrete Verdacht, dass ein Gefangener Drogen konsumiert hat, ist er (auch) nach § 56 Abs. 2 StVollzG zur Abgabe von Urinproben verpflichtet. Denn Drogenkonsum ist nicht nur ein schwerer Verstoß gegen die Anstaltsordnung, sondern in der Regel auch ein Anzeichen einer behandlungsbedürftigen Betäubungsmittelabhängigkeit, so daß die Abgabe auch dem Gesundheitsschutz dient. Die Weigerung des Gefangenen, seiner hierzu erforderlichen Mitwirkung nachzukommen, stellt einen Pflichtenverstoß dar, der eine disziplinarische Ahndung rechtfertigt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 02.12.2005; Aktenzeichen 544 StVK 532/05 Vollz) |
LG Berlin (Entscheidung vom 02.12.2005; Aktenzeichen 544 StVK 778/05 Vollz) |
Tenor
Die Verfahren 5 Ws 16/06 Vollz und 5 Ws 630/05 Vollz werden verbunden.
Die Rechtsbeschwerden des Gefangenen gegen die Beschlüsse des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 2. Dezember 2005 werden verworfen.
Der Gefangene hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Der Gefangene verbüßt zur Zeit unter anderem wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren in der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg. Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer setzte er während seiner früheren Haftzeiten seinen Haschischkonsum fort und erwähnte gegenüber dem Bereichsleiter der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg, daß er weiter Haschisch konsumieren wolle. Vor diesem Hintergrund ordnete die Haftanstalt mehrmals die Abgabe von Urinproben an, die der Gefangene aber jeweils verweigerte.
1.
Am 15. Juni 2005 (Verfahren 5 Ws 16/06 Vollz) sollte sich der Gefangene einer Urinkontrolle unterziehen. Er wurde in einen Duschraum geführt, mußte sich entkleiden und sollte dann in Anwesenheit eines Bediensteten Urin lassen. Der Gefangene verweigerte die Abgabe von Urin und beanstandet, daß der Vorgang in einem Duschraum stattfand.
2.
Am 21. August 2005 (Verfahren 5 Ws 630/05 Vollz) bemerkte eine Bedienstete Haschischgeruch, als der Beschwerdeführer rauchend über die Station lief. Die Abgabe einer Urinprobe verweigerte der Gefangene erneut.
Beide Vorfälle wurden jeweils mit Disziplinarbescheiden geahndet. Die Disziplinarmaßnahmen, nämlich der Entzug von Radio- und Fernsehempfang sowie die getrennte Unterbringung während der Freizeit für eine Woche wurden vollzogen. Mit seinen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Gefangene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen, sowie weiterhin die Feststellung, daß der Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung zu deren Erlaß nicht berechtigt war. Ferner beantragt er, die Anstalt zu verpflichten, "Disziplinarmaßnahmen bei nicht hinreichend aufgeklärten Sachverhalten zu unterlassen". Darüber hinaus verlangt er, daß seine Verweigerung der Abgabe von Urinproben nicht zu seinen Ungunsten ausgelegt werden dürfe. Mit den angefochtenen Beschlüssen wies die Strafvollstreckungskammer die Anträge zurück. Da die Haftanstalt jedoch den ersten Disziplinarbescheid vom 23. Juni 2005 - der durch denjenigen vom 1. Juli 2005 ersetzt wurde - ohne Anhörung des Gefangenen erlassen hatte, stellte das Landgericht insoweit die Rechtswidrigkeit fest. Mit seinen Rechtsbeschwerden rügt der Gefangene - soweit er vor der Strafvollstreckungskammer erfolglos geblieben ist - die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er begehrt weiterhin die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahmen und meint, die Durchführung von Urinkontrollen in einem Duschraum sei menschenunwürdig.
Die Rechtsmittel sind zulässig, aber nicht begründet.
1.
Die im Verfahren 5 Ws 630/05 Vollz erhobene Aufklärungsrüge, mit der der Gefangene pauschal behauptet, die Strafvollstreckungskammer habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, ist allerdings entgegen § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht ausreichend ausgeführt und damit unzulässig. Der Beschwerdeführer teilt keine Tatsachen mit, aufgrund derer sich eine weitere Aufklärung konkreter Beweisfragen durch die Verwendung konkreter Beweismittel hätte aufdrängen müssen.
2.
Die Rechtsbeschwerde erfüllt mit der Sachrüge die besonderen Zulassungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Der Senat hält ein klärendes Wort zu der Frage, wann die Justizvollzugsanstalt bei Strafgefangenen Urinkontrollen anordnen und deren Verweigerung mit Disziplinarmaßnahmen ahnden darf, für geboten. Zur Fortbildung des Rechts ist eine Rechtsbeschwerde auch dann zuzulassen, wenn zwar schon Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte vorliegen, eine weitere Entscheidung aber zu einer gefestigten Rechtsprechung beitragen kann (vgl. KG VRS 82, 206, 297; Schuler in Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG 4. Aufl., § 116 Rdn. 4).
a.
Die Justizvollzugsanstalt war nach §§ 102, 103 Abs. 1 Nr. 3 und 5 StVollzG berechtigt, gegen den Gefangenen den Entzug von Radio- und Fernsehempfang sowie die getrennte Unterbringung für jeweils eine Woche anzuordnen. Denn der Gefangene hat schuldhaft gegen...