Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschwindigkeitsüberschreitung: Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Arbeitslosengeld II beziehenden Betroffenen bei Geldbuße nach Regelsatz
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho kann ein zu geringer Abstand durch eine die Mindestanforderungen weit übertreffende Länge der Messstrecke und durch einen großzügigen Toleranzabzug kompensiert werden.
2. Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Bundesautobahn im Berliner Stadtgebiet sind als innerörtliche Verstöße zu behandeln.
3. Anforderungen an die Darstellung von berücksichtigten Voreintragungen
4. Grundsätzlich hat das Tatgericht bei der Verhängung von Geldbußen von mehr als 250,00 Euro keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen, wenn es das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt hat.
5. Etwas anderes gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II, der zwar grundsätzlich darauf hindeuten kann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchschnittlich sind, steht der Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht entgegen.
6. Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist dann durch Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung Rechnung zu tragen.
Normenkette
OWiG § 17 Abs. 3, §§ 18, 79 Abs. 1, 3, 6; StPO § 473 Abs. 1, 4; StVG § 25 Abs. 1, 2a, § 28 Abs. 3 Nr. 3; BKatV § 3 Abs. 4a, § 4
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 27.10.2021; Aktenzeichen 312 OWi 166/21) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Oktober 2021 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen,
- dass dem Betroffenen gestattet wird, die Geldbuße in fünf monatlichen Raten von jeweils 200,00 Euro, jeweils zum 15. eines Monats, beginnend ab dem 15. Februar 2022, zu zahlen, wobei die Vergünstigung, die Geldbuße in Teilbeträgen zu zahlen, entfällt, wenn der Betroffene einen Teilbetrag nicht fristgerecht zahlt,
- und dass die Normenkette dahingehend korrigiert wird, dass "§ 25 Abs. 2 a StVG" gestrichen wird.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Auf den gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 20. Januar 2021 gerichteten Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht Tiergarten mit Urteil vom 27. Oktober 2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 67 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 1.000,00 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 1. Dezember 2020 gegen 23.00 Uhr mit einer Geschwindigkeit von zumindest 147 km/h die Bundesautobahn BAB 113 in Richtung Norden zwischen den Abfahrten A und B. Damit überschritt er die durch gut erkennbares Verkehrszeichen zuvor angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 67 km/h.
Das Amtsgericht war von diesem Tatgeschehen überzeugt, weil zwei Polizeibeamte bekundet hatten, den Betroffenen, der ihnen bereits zuvor durch überhöhte Geschwindigkeit aufgefallen sei, über eine Wegstrecke von etwa 2.300 Metern bei einem Abstand von nahezu konstant 100 Metern, gegen Ende der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung höchstens 125 Metern, mit einer vom ungeeichten Tacho abgelesenen Geschwindigkeit von 184 km/h verfolgt zu haben.
Nach dem Anhalten durch die Polizeibeamten äußerte der Betroffene spontan: "Ja, ich weiß, ich bin viel zu schnell gefahren."
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde erhebt der Betroffene die allgemeine Sachrüge.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 4. Januar 2022 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache - neben der vom Senat vorgenommenen Klarstellung hinsichtlich der Normenkette - allein im Hinblick auf die Nichtgewährung einer Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG Erfolg.
Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.
1. Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet.
a) Die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntn...