Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho zur Nachtzeit auf einem innerstädtischen Abschnitt einer Bundesautobahn
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho ist kein standardisiertes Messverfahren, so dass sich das Tatgericht in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss.
2. Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit müssen die Urteilsgründe grundsätzlich Feststellungen zu den Beleuchtungsverhältnissen enthalten und Darlegungen dazu, ob der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und damit ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte. Etwas anderes kann gelten, wenn die Beleuchtungsverhältnisse gerichtsbekannt sind (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 1999 - 3 Ws (B) 560/99 -, juris).
3. Der zum Ausgleich von Messungenauigkeiten gewährte Toleranzabzug von 22,5 % auf die gefahrene Geschwindigkeit von 160 km/h beschwert den Betroffenen nicht.
Normenkette
OWiG § 79 Abs. 3 S. 1; StVO § 41; BKatV § 1 Abs. 1-2, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BKatV Anl. Nr. 11 Anh. Tabelle 1 Buchst. c) Nr. 11.3.9
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 18.10.2022; Aktenzeichen 450 OWi 15/22 Jug) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. Oktober 2022 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Auf den gegen den Bußgeldbescheid der Polizei Berlin vom 24. Januar 2022 gerichteten Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht Tiergarten mit Urteil vom 18. Oktober 2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 1.750,00 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 7. Dezember 2021 gegen 21.40 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 124 km/h (netto) die Bundesautobahn BAB 100 in Richtung Süden zwischen den Abfahrten Kaiserdamm (Laternenpfahl 26/08) und Ostpreußenbrücke. Damit überschritt er die durch gut erkennbares Verkehrszeichen 274 zuvor angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 64 km/h.
Das Amtsgericht war von diesem Tatgeschehen überzeugt, weil drei Polizeibeamte unabhängig voneinander bekundet hatten, den Betroffenen, der ihnen bereits zuvor durch überhöhte Geschwindigkeit aufgefallen sei, über eine Wegstrecke von etwa 565 Metern beginnend ab Abfahrt Kaiserdamm bei einem gleichbleibenden Sicherheitsabstand, demnach - so das Tatgericht - von minimal 50 Metern und maximal 150 Metern, mit einer vom ungeeichten Tacho abgelesenen Geschwindigkeit von 160 km/h verfolgt zu haben.
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde erhebt der Betroffene die allgemeine Sachrüge und sieht zusätzlich formelles Recht als verletzt an.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.
Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.
1. Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet.
a) Die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06 -, juris). Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht (und nicht justiert) war. Wie der zumindest überwiegende Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer allerdings nicht für ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung (vgl. Senat DAR 2022, 392, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 - 3 Ws (B) 234/21 -, vom 29. November 2017 - 3 Ws (B) 212/17 und vom 27. Ok...