Leitsatz (amtlich)
1. Das Gebot, einem im linken Fahrstreifen nachfolgenden Wegerechtsfahrzeug freie Bahn zu schaffen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO), wird nicht dadurch erfüllt, dass der Vorausfahrende nach Wahrnehmen der Sondersignale stark abbremst.
2. Im Falle eines Abbremsens ohne zwingenden Grund (Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO) ist die (Mit-)Haftung des Abbremsenden umso größer, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein plötzliches starkes Abbremsen ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 328/07) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Schadensersatz in Anspruch aus einem Verkehrsunfall vom 21.6.2007, der sich im Tiergartentunnel Fahrtrichtung Wedding ereignet hat. Die Kollision zwischen dem im Eigentum der Klägerin stehenden, von ihr gehaltenen und von ihrem Ehemann, S.C., geführten Pkw Toyota Carina und dem vom beklagten Land gehaltenen und von dem Polizeibeamten I.S. auf einer Einsatzfahrt geführten Funkstreifenwagen VW-Bus T 4 ereignete sich auf dem linken Fahrstreifen dadurch, dass das Polizeifahrzeug, das nach Einschalten von Blaulicht und Horn Wegerecht in Anspruch genommen hat, aufgefahren ist.
Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme (Anhörung der Klägerin sowie Vernehmung von sechs Zeugen) abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei dem streitgegenständlichen Auffahrunfall spräche der Anscheinsbeweis gegen das Polizeifahrzeug; der zur Widerlegung dieses Anscheinsbeweises von dem Beklagten vorgetragene Fahrstreifenwechsel des klägerischen Fahrzeugs sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht sicher feststellbar; allerdings sei durch die Zeugenaussagen bewiesen, dass das Klägerfahrzeug vor der Kollision stark, fast bis zum Stand abgebremst habe. Nach der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung der jeweiligen Betriebsgefahr vor habe der Ehemann der Klägerin, der dem von hinten herannahenden Sonderrechtsfahrzeug freie Bahn hätte schaffen müssen, durch das Abbremsen im linken Fahrstreifen in ganz überwiegendem Maße den Unfall verursacht, so dass die Klägerin ihren Schaden selbst zu tragen habe; denn wenn deren Ehemann schon nicht nach rechts hätte ausweichen können, so hätte er doch nicht stark abbremsen dürfen, sondern seine Geschwindigkeit beibehalten müssen, um bei nächster Gelegenheit nach rechts zu wechseln.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie nicht mehr Schadensersatz nach einer Haftungsquote von 100 % erstrebt, sondern noch 50 % ihres unfallbedingten Schadens fordert.
Sie macht geltend: Zwar könne der Beweiswürdigung gefolgt werden, die rechtlichen Folgerungen des LG seien jedoch fehlerhaft.
II. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Die Klägerin trägt auf S. 2 ihrer Berufungsbegründung vor: Unstreitig habe der Klägerfahrer nach dem Wahrnehmen der Sondersignale abgebremst, so dass das Polizeifahrzeug grundsätzlich auch die Möglichkeit gehabt hätte, rechts am klägerischen Fahrzeug vorbeizuziehen. Das Gebot, freie Bahn zu schaffen, fordere nicht zwingend ein Ausweichen nach rechts, sondern es sei stets die Verkehrslage zu berücksichtigen.
In der vorliegenden Situation habe der Fahrer der Klägerin dargelegt, dass er keine Möglichkeit gehabt habe, nach rechts herüberzuziehen, so dass das Verbleiben im linken Fahrstreifen nicht zur Alleinhaftung der Klägerin führen könne.
Diese Argumentation entkräftet die Begründung des LG nicht und rechtfertigt auch nach Auffassung des Senats keine Mithaftung des Beklagten.
Denn wenn - wie die Klägerin geltend macht - der Fahrer aufgrund der Verkehrslage keine Möglichkeit gehabt habe, durch einen Fahrstreifenwechsel nach rechts dem bevorrechtigten Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen, dann konnte dieses Fahrzeug auch nicht nach Wechsel nach rechts am Klägerfahrzeug vorbeifahren.
Auch ist nicht erkennbar, weshalb der Ehemann der Klägerin nach Wahrnehmen der Sondersignale stark abgebremst hat; es kann dahinstehen, ob dies eine unwillkürliche Schreckreaktion gewesen ist, jedenfalls entsprach diese Reaktion bei der vorhandenen Verkehrslage nicht dem Gebot aus § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO, dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen. Wie das LG auf S. 6 f. des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat, hätte der Ehemann der Klägerin in der gegebenen Situation, in ...