Entscheidungsstichwort (Thema)

Deliktische Haftung des Kfz-Herstellers im Rahmen des sog. Abgasskandals: Anspruch des Erben eines vormaligen Käufers; vorsätzliche sittenwidrige Schädigung; Zurechnung im Konzern; Wegfall des Schadens durch Software-Update; Vorteilsanrechnung für Kfz-Nutzung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Erbe des Käufers eines mit einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Fahrzeugs hat gegen den Hersteller des Motors einen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises gemäß §§ 826, 31 BGB. (Rn. 5)

2. Dabei macht es keinen Unterschied, dass es vorliegend um ein Fahrzeugmodell der Muttergesellschaft des beklagten Unternehmens geht, die Beklagte also nicht das Fahrzeug in den Verkehr gebracht, sondern den Motor hierfür hergestellt und in Verkehr gebracht hat. Damit bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass die damit ausgerüsteten Fahrzeuge - wie das streitgegenständliche Fahrzeug - entsprechend ihres objektiven Verwendungszwecks im Straßenverkehr eingesetzt werden dürfen, also über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügen, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften des Motors gefährdet ist. (Rn. 8)

3. Der Schaden des vormaligen Käufers ist durch ein späteres Software-Update des Kfz-Herstellers nicht entfallen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entstehung des Schadens mit dem sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss. (Rn. 15)

4. Der (vormalige) Käufer muss sich auf den zu erstattenden Kaufpreis die duch die Nutzung des Fahrzeugs erlangten Vorteile anrechnen lassen. (Rn. 22)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 249-251, 826; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 21.06.2019; Aktenzeichen 65 O 81/18)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, das am 21.06.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin gemäß § 319 ZPO insofern zu berichtigen, als dort im Tenor unter 1.b die Worte "aus 54.294,01 EUR seit dem 18.7.2018 bis zum 29.10.2018 sowie" gestrichen werden sollen.

Der Senat beabsichtigt des weiteren, die Berufung der Beklagten gegen das genannte Urteil vorbehaltlich einer teilweisen Erledigungserklärung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

 

Gründe

I. Das am 21.06.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin enthält eine offenbare Unrichtigkeit im Tenor, die der Senat als mit der Sache befasstes Rechtsmittelgericht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1991 - IV ZR 155/90, NJW-RR 1991, 1278) gemäß § 319 ZPO von Amts wegen zu berichtigen beabsichtigt.

Nach den Entscheidungsgründen ist der zuerkannte Zinsanspruch vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit an gemäß §§ 286, 288 BGB gerechtfertigt, während darüber hinausgehend ein Zinsanspruch nicht besteht. Demnach war der Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 54.294,01 EUR seit dem 18.07.2018 bis zum 29.10.2018, d.h. für die Zeit vom Ablauf der im anwaltlichen Schreiben vom 03.07.2018 (Anlage K 4) gesetzten Frist am 17.07.2018 bis zur Rechtshängigkeit unbegründet. Er war deshalb abzuweisen. Gleichwohl wurde der Anspruch insoweit mit der Urteilsformel zu 1.b zugesprochen. Dies stellt eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 319 Abs. 1 ZPO dar.

II. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten vorbehaltlich einer teilweisen Erledigungserklärung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen, weil sie im Übrigen offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts - auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird - beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO, noch rechtfertigen gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Die Klage ist im zugesprochenen Umfang zulässig und begründet.

1. Der Klägerin als unstreitiger Alleinerbin des vormaligen Klägers steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Zahlungsanspruch gemäß § 826 BGB zu. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte der Klägerin aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB grundsätzlich auf Erstattung der Kaufpreiszahlung haftet. Die von der Beklagten dagegen erhobenen Rügen greifen nicht durch.

a. Das Landgericht hat das Verhalten der Beklagten zutreffend als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB angesehen. Ihr als besonders verwerflich zu qualifizierendes Handeln verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (vgl. BGH, Urt. v. 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 15). Das Landgericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die planmäßige Täuschung der Aufsichtsbehörden, der Verstoß gegen Umweltschutzvorschriften und die Ausnutzung und de...

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