Leitsatz (amtlich)

Die bei den Landgerichten eingerichteten Kammern für Handelssachen sind für Beschlussmängelklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG funktionell ausschließlich zuständig. Entsprechende Klageverfahren sind daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen abzugeben, ohne dass es des Antrags einer Partei bedarf.

 

Normenkette

AktG § 246 Abs. 3 S. 2; GVG § 94 ff.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Verfügung vom 12.07.2023; Aktenzeichen 88 O 143/23)

LG Berlin (Beschluss vom 21.08.2023; Aktenzeichen 95 O 49/23)

 

Tenor

Die Kammern für Handelssachen des Landgerichts Berlin werden als funktionell zuständige Spruchkörper bestimmt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH. Der Kläger und die Nebenintervenientin sind jeweils zur Hälfte an der beklagten GmbH beteiligt. Der Kläger ist darüber hinaus zum alleinigen Geschäftsführer bestellt. Er wendet sich mit einer am 9. Januar 2023 (Montag) bei dem Landgericht Berlin eingegangen Beschlussanfechtungsklage gegen in einer Gesellschafterversammlung vom 8. Dezember 2022 gefasste Beschlüsse der Beklagten. Um einen unzulässigen In-sich-Prozess zu vermeiden, hat der Kläger beantragt, die Klage der späteren Nebenintervenientin als gesetzlicher Vertreterin der Beklagten zustellen, und hilfsweise die Bestellung eines Prozesspflegers angeregt.

Die zunächst mit der Sache befasste allgemeine Zivilkammer 88 des Landgerichts hat mit einer Verfügung vom 6. April 2023 einen frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 29. September 2023 anberaumt und der Beklagten eine Klageerwiderungsfrist von vier Wochen gesetzt. Mit einem Schriftsatz vom 19. Mai 2023 ist die Mitgesellschafterin des Klägers dem Rechtsstreit als streitgenössische Nebenintervenientin beigetreten. Mit einer formlosen Verfügung vom 12. Juli 2023 hat die Zivilkammer 88 die Sache schließlich an die Kammern für Handelssachen des Landgerichts abgeben, weil deren ausschließliche funktionelle Zuständigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer Beschlussmängelklage in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG begründet sei.

Die hierauf mit der Sache befasste Kammer für Handelssachen 95 hat die Parteien mit einer Verfügung vom 21. Juli 2023 auf Bedenken gegen ihre Zuständigkeit hingewiesen, da nach zutreffender Auffassung eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen für Beschlussmängelklagen bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht begründet sei und ein innerhalb der Klageerwiderungsfrist gestellter Verweisungsantrag der Beklagten ebenfalls nicht vorliege. Dieser Auffassung haben sowohl der Kläger als auch die Nebenintervenientin mit Schriftsätzen vom 31. Juli 2023 widersprochen, die Nebenintervenientin hat darüber hinaus vorsorglich eine Verweisung des Rechtsstreits an die Kammern für Handelssachen beantragt. Die Kammer für Handelssachen 95 hat sich gleichwohl mit einem Beschluss vom 21. August 2023 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die Zivilkammer 88 verwiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus der Verfügung vom 21. Juli 2023 wiederholt.

Die Zivilkammer 88 hat sich hierauf mit einem Beschluss vom 13. September 2023 ebenfalls für funktionell unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers vorgelegt.

II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen auch der Sache nach vor, weil sich sowohl die Zivilkammer 88 als auch die Kammer für Handelssachen 95 des Landgerichts Berlin rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII AZR 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben. Da die Verteilung der Geschäfte zwischen den allgemeinen Zivilkammern und den Kammern für Handelssachen eines Landgerichts nicht durch den vom Präsidium beschlossenen Geschäftsverteilungsplan (§ 21e GVG) bestimmt wird, sondern den gesetzlichen Regelungen in §§ 93 ff. GVG folgt, sind negative Kompetenzkonflikte zwischen den beteiligten Spruchkörpern nach allgemeiner Auffassung in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das im Rechtszug übergeordnete Gericht, hier also durch das Kammergericht, und nicht durch das Präsidium zu entscheiden (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 2 AR 24/07, NJW-RR 2017, 1189; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 94 Rn. 8, jeweils m. w. N.).

3. Die Kammern für Handelssachen sind funktionell zuständig. Diese folgt bereits aus dem Umstand, dass für den Rechtsstreit in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3. S. 2 AktG ihre ausschließliche Zuständigkeit begründet ist (dazu a.), so dass es auf die Frage, ob ein rechtzeitig gestellter Verweisungsantrag vorliegt, nicht mehr entsche...

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