Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 27.04.1994; Aktenzeichen (562) 81 Js 936/93 Ls (10/94)) |
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten der Volksverhetzung für schuldig befunden und ihn zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40,-- DM verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung mit der Maßgabe verworfen, daß die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 20,-- DM herabgesetzt wird. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
A.
Für die erhobene Verfahrensrüge sind keine einen Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben worden. Sie ist daher gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.
B.
Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
I.
Nach den von dem Landgericht getroffenen Feststellungen befestigte der Angeklagte an einem nicht näher bestimmbaren Tag im November oder Anfang Dezember 1992 an einer Glasscheibe in der Nähe seines Arbeitsplatzes in einem Unternehmen für Relais- und Automatisierungssysteme einen Zettel mit gedrucktem Text folgenden Inhalts:
"Der ASYLBETRÜGER IN D E U T S C H L A N D
- Geliebt von der CDU bis zur FDP und ganz besonders von der SPD und den GRÜNEN
- verhalten vom deutschen Steuerzahler, der den Betrug auch noch finanzieren muß
Und so sieht's aus:
Herr Asylbetrüger, na wie geht's?
Oh ganz gut, bring' Deutschen Aids.
Komm direkt aus Übersee -
hab' Rauschgift mit, so weiß wie Schnee,
verteil' im Sommer wie im Winter
sehr viel davon an deutsche Kinder.
Muß nicht zur Arbeit, denn zum Glück
schafft deutsches Arschloch in Fabrik.
Hab Kabelfernsehen, lieg im Bett -
werd' langsam wieder dick und fett,
zahl weder Miete, Strom noch Müllabfuhr,
das müssen dumme Deutsche nur.
Auch Zahnarzt, Krankenhaus komplett
zahlt jeden Monat deutscher Depp.
Wird deutscher Depp mal Pflegefall
verkauft ihm Staat Haus, Hof und Stall.
Man nimmt ihm einfach alles weg,
schafft vierzig Jahr umsonst, der Depp.
Wenn deutscher Dummkopf ist gestorben,
dann müssen Erben Geld besorgen,
denn Deutscher muß bezahlen für Pflegeheim und Grab,
was als Asylbetrüger umsonst ich hab.
Man sieht, daß Deutscher ein Idiot,
muß auch noch zahlen, wenn ist tot.
Ich liebe Deutschland - wo noch auf der Welt
gibt's für Asylbetrug auch noch viel Geld.
Ist DEUTSCHLAND pleite fahr' ich heim,
und sag, leb wohl Du NAZI SCHWEIN"
Die Zeile "schafft deutsches Arschloch in Fabrik" versah der Angeklagte nach einigen Wochen aus Anlaß der Entlassung eines Arbeitskollegen mit dem handschriftlichen Zusatz "nicht mehr lange". Die Glasscheibe wurde gelegentlich auch von anderen Personen des Betriebes für Anschläge benutzt. Der Zettel war in Kopfhöhe angebracht, so daß er gut gelesen werden konnte. Zugang hatten etwa 13 oder 14 Kollegen des Angeklagten in seinem Arbeitsbereich, sonstige Personen, die den Angeklagten aus betrieblichen Gründen aufsuchten, das Reinigungspersonal und Besuchergruppen, die bisweilen durch den Betrieb geführt wurden.
Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Verhaltens des Angeklagten wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Nr. 3 StGB in der zur Tatzeit und zum Zeitpunkt des Urteils geltenden Fassung angenommen. Danach machte sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.
Den Vorwurf der Volksverhetzung stützt das Landgericht im wesentlichen auf die folgende Auslegung des Pamphlets. Der Text bezeichne undifferenziert und verallgemeinernd Asylbewerber als Betrüger, Verbreiter von Aids und Rauschgiftdealer. Ausnahmslos werde ihnen ein schimpfliches schmarotzerhaftes Verhalten angelastet, das sie als Menschen erscheinen lasse, die der Achtung anderer nicht würdig seien und kein Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hätten. Letztlich ziele der Text darauf ab, Asylsuchenden ein Leben in Deutschland unmöglich zu machen.
Darin hat das Landgericht einen Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfung, böswillige Verächtlichmachung und Verleumdung gesehen und den erforderlichen Öffentlichkeitsbezug damit begründet, daß eine unbestimmte Anzahl von Personen den Aushang habe wahrnehmen können.
II.
1. § 130 StGB ist zwischenzeitlich durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBI. I, 3186) geändert worden. Die Änderung hat die Vorschrift dadurch verschärft, daß für zwei Handlungsvarianten von der Voraussetzung eines Angriffs auf die Menschenwürde abgesehen wurde. Somit ist für die revisionsrechtliche Überprüfung gemäß § 2 Abs. 3 StGB von der zur Tatzeit geltenden und auch vom Landgericht zugrunde gelegten Fassung der Vorschrift als dem milderen Gesetz auszugehen
2. Der auf dieser Grundlage ergangene Schuldspruch des landgerichtlichen Urteils kann keinen Bestand haben, weil denkfehlerhaft bei der Bestimmung des Personenkreises, gegen den sich der Text richtet, naheliegende Auslegungsmöglichkeiten außer Betracht geblieben sind, die zu e...