Entscheidungsstichwort (Thema)

Augenblicksversagen bei angeblich übersehenem Zeichen 274

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Ein "Augenblicksversagen" kann nur in besonders gearteten Ausnahmefällen in Rechnung gestellt werden.

2. Ohne solche Umstände müssen sich die Urteilsgründe nicht damit befassen.

3. Es ist anzuzweifeln, dass sich ein Kraftfahrer im Hinblick auf ein angeblich übersehenes Zeichen 274 auf "Augenblicksversagen" berufen kann, wenn er sogar die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) überschreitet.

 

Normenkette

StVO § 3 Abs. 3, § 41 Abs. 2; StVG § 25; StPO § 267 Abs. 1, § 344 Abs. 2 S. 2; OWiG § 79 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 10.11.2022; Aktenzeichen 345 OWi 121/22)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. November 2022 wird verworfen.

 

Gründe

Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Die dem Wortlaut der Rechtsbeschwerde ausschließlich erhobene Sachrüge hat keinen Erfolg. Die insoweit allein maßgeblichen Urteilsgründe geben keinen Anlass, ein so genanntes Augenblicksversagen, von dem ohnehin nur in besonders gearteten Ausnahmefällen ausgegangen werden kann, in Rechnung zu stellen. Der Hinweis, die Messstelle befinde sich im Bereich einer Schule, spricht jedenfalls eher gegen als für ein solches Augenblicksversagen.

2. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, eine vom Verteidiger vorprozessual abgegebene "Einlassung" hätte dem Tatgericht Anlass geben müssen, sich vertieft mit der Möglichkeit eines Augenblicksversagens auseinanderzusetzen, geht fehl. Der Senat geht bei dem unterbreiteten Sachstand davon aus, dass die Erklärung gar nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Betroffene (über das Geständnis der Fahrereigenschaft hinaus) nicht eingelassen. Dass der Verteidiger die zuvor schriftsätzlich eingereichte Erklärung in der Hauptverhandlung als eigene wiederholt hätte, was bei einer "Einlassung" ohnedies an die Grenzen des Logischen stieße, ergibt sich nicht aus dem Urteil und wird durch die Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Weder aus dem Urteil noch aus der Rechtsbeschwerde ergibt sich im Übrigen, dass der Betroffene abwesend und der Verteidiger zur Vertretung bevollmächtigt war, so dass letzterer überhaupt eine Einlassung wirksam abgeben konnte. All dies wäre in einer den Voraussetzungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge darzulegen gewesen.

3. Ohnedies muss als zumindest zweifelhaft gelten, dass sich ein Kraftfahrer auf Augenblicksversagen berufen kann, der nicht einmal die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) einhält, sondern, wie hier, um 12 km/h überschreitet (vgl. Senat, Beschluss vom 6. September 2017 - 3 Ws (B) 204/17 - [unveröffentlicht]).

4. Die Stellungnahme des Verteidigers vom 23. Februar 2023 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15641461

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