Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.07.2016; Aktenzeichen 300 OWi 1125/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 19. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen als Führer eines Kraftfahrzeugs wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 36 km/h einen Bußgeldbescheid über 220 Euro erlassen und nach § 25 StVG ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Auf den dagegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 1 i.V. Anlage 2 (zu ergänzen: Zeichen 274), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 35,00 Euro verurteilt und kein Fahrverbot verhängt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin, die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG nicht zulassungsbedürftig ist und mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat Erfolg.
Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 8. Juni 2015 als Führer eines Kraftfahrzeugs die BAB 100 Richtung Süd und überschritt die an einer Baustelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät Leivtec XV 3 ergab unter Berücksichtigung des üblichen Toleranzanzuges von 3 km/h einen Wert von 96 km/h. Das Amtsgericht hat, ohne sachverständig beraten zu sein, einen Toleranzabzug von insgesamt 20 Prozent vorgenommen und ist dementsprechend von einer vorwerfbaren Geschwindigkeitsüberschreitung von nur 19 km/h. Die zu diesem Ergebnis führende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
Wenn auch in Bußgeldsachen als Massenverfahren an die Abfassung der Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für sie als alleiniger Grundlage für die sachlich-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils prinzipiell nichts anderes gelten als für Urteile in Strafsachen. Die Urteilsgründe müssen daher nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 StPO auch in Bußgeldsachen wenigstens so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen im Rahmen der Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, diese auf Widersprüche, Unklarheiten Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. Göhler, OWiG 16. Aufl., § 71 Rn. 43 ff. mit zahlreichen Nachweisen).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Geschwindigkeitsmessung fand ausweislich der Urteilsgründe mit einem Messgerät statt, dessen Bauart durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zugelassen ist, für das eine Eichbescheinigung vorgelegen hat und das von einem dafür ausgebildeten Polizeibeamten bedient worden ist. Lediglich die Länge des Verbindungskabels zwischen Messgerät und Bedieneinheit überschritt die in der Bauartzulassung festgelegte Höchstlänge um einige Zentimeter. Einer als Behördengutachten zu wertenden schriftlichen Mitteilung der PTB, wonach ein geringfügig längeres Verbindungskabel keinen Einfluss auf das Messergebnis hat, ist die Amtsrichterin nicht gefolgt. Es ist rechtsfehlerhaft, unter diesen Umständen ohne eigene Beratung durch einen Sachverständigen einen Toleranzabzug von 20 % der gemessenen Geschwindigkeit vorzunehmen.
Zur Begründung der Entscheidung wird in den Urteilsgründen zwar mehrfach auf schriftliche Unterlagen und ein - offenbar in einem anderen Bußgeldverfahren erstattetes - Sachverständigengutachten Bezug genommen; deren genauer Inhalt wird jedoch jeweils nicht mitgeteilt. Will der Tatrichter den Ausführungen eines Sachverständigen folgen, reicht es nicht aus, in den Urteilsgründen lediglich das Ergebnis des Gutachtens mitzuteilen. Vielmehr müssen die Urteilsgründe die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens und die daraus von dem Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens soweit mitteilen, wie dies zum Verständnis des Gutachten und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Ott in Karlsruher Kommentar StPO 7. Aufl., § 261 Rn. 32 m.N.). Mindestvoraussetzung ist daher eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung. Den Urteilsgründen ist insoweit lediglich zu entnehmen, dass diverse Unterlagen aus anderen Verfahren, bei denen es sich offenbar teilweise um Sachverständigengutachten handelt, "zum Gegenstand des...