Leitsatz (amtlich)
Auch bei Heranwachsenden ist eine Wiederholungsgefahr gegeben, wenn Straftaten aus dem enumerativen Katalog des § 112 a StPO konkret in überdurchschnittlicher Weise begangen worden sind. Dabei sind auch frühere Taten mit zu berücksichtigen, durch die ein verfestigtes kriminelles Handlungsmuster ersichtlich wird. Für die Feststellung der Gefahr der Fortsetzung der kriminellen Handlungen ist neben den Tatumständen auf die konkreten Lebensverhältnisse des Täters, u.a. auf seine Bindung zum Elternhaus und seine beruflichen Perspektiven abzustellen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 05.03.2008; Aktenzeichen 509 Qs 10/08 - (411) 47 Js 1096/07 Ls (94/07)) |
Tenor
Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 5. März 2008 wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen.
Gründe
Das Jugendschöffengericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 20. Februar 2008 wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Nötigung, unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 10. Oktober 2007 und 11. Mai 2007 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Fortdauer der seit dem 16. August 2007 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. August 2007 - 353 Gs 4021/07 - vollzogenen Untersuchungshaft angeordnet. Der Angeklagte hat gegen das Urteil rechtzeitig Berufung eingelegt und das Rechtsmittel, über das noch nicht entschieden ist, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die gegen den Haftfortdauerbeschluss gerichtete Beschwerde des Angeklagten verworfen.
Die mit Schriftsatz vom 26. März 2008 erhobene weitere Beschwerde ist nach § 310 Abs. 1 StPO zulässig und trotz der zwischenzeitlich begründeten Zuständigkeit der Berufungskammer nicht in einen Antrag auf Haftprüfung umzudeuten, weil bereits dieselbe Strafkammer erst vor kurzem durch den angefochtenen, ausführlich begründeten Beschluss über die Haftverhältnisse entschieden hat und eine erneute Haftentscheidung der Strafkammer lediglich die Anrufung des Beschwerdegerichts ohne sachlichen Grund verzögern würde (vgl. Senat NStZ 2000, 444; KG, Beschluss vom 24. Juni 1999 -5 Ws 385-386/99- m.w.N.). In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
1.
Der dringende Tatverdacht bedarf keiner Erörterung, da der Angeklagte den Schuldspruch des Jugendschöffengerichts nicht angefochten hat.
2.
Entgegen den ergänzenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss kommt der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) nicht in Betracht. Der zu erwartende Strafrest nach Anrechnung der knapp über neunmonatigen Untersuchungshaft erreicht keine fluchtanreizbietende Höhe, zumal der Angeklagte als gerade 18-Jähriger noch bei seiner Mutter und seinem Stiefvater wohnt und über keine erkennbaren persönlichen Verbindungen verfügt, die ihm die Flucht ermöglichen könnten.
3.
Zu Recht hat das Landgericht den Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO) angenommen.
Der Senat verkennt nicht, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht der Verfahrenssicherung dient, sondern die Rechtsgemeinschaft vorbeugend vor weiteren Straftaten schützen soll, so dass an ihn aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfGE 19, 342, 249 ff und 35, 195, 191; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 112a Rdn. 10, 30).
a.
Danach muss der Angeklagte zunächst dringend verdächtig sein, wiederholt, d.h. in mindestens zwei Fällen, Straftaten nach dem enumerativen Katalog des § 112 a Abs. 1 StPO begangen und dadurch die Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung der Opferperspektive schwerwiegend beeinträchtigt zu haben, wofür erforderlich ist, dass die in Frage kommenden, bereits abstrakt erheblichen Strafvorschriften auch konkret in überdurchschnittlicher Weise verletzt worden sind (vgl. Senat, Beschluss vom 10. April 2007 -4 Ws 47/07-; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 210, 211; OLG Dresden StV 2006, 534, 535; OLG Frankfurt/M. NStZ 2001, 75, 76). So verhält es sich hier.
Es liegen schwerwiegende, wiederholt und fortgesetzt begangene Anlasstaten im Übermaß vor, wobei der Schwerpunkt auf den Körperverletzungsdelikten beruht, weil die durch Raub oder Erpressung erzielten bzw. erstrebten Vermögensvorteile vergleichsweise niedrig ausfielen (vgl. OLG Frankfurt/M. NStZ 2001, 75, 76; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., § 112a Rdn. 9; Hilger in Löwe/Rosenberg a.a.O., § 112a Rdn. 32, 34).
Dabei sind auch die früheren Taten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 7. Se...