Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsanwaltsvergütung: Erstattung von Kosten für eine nicht vorab "genehmigte" Geschäftsreise

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG verbindlich sind Reisekosten nur, wenn das Gericht des Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts vor Antritt der Reise deren Erforderlichkeit - unanfechtbar - festgestellt hat.

2. Andernfalls kommt es für die Beurteilung, ob sie zur sachgerechten Interessenwahrnehmung erforderlich waren darauf an, ob der Pflichtverteidiger die Angelegenheit auch ohne die Reise sachgemäß hätte durchführen können, wobei auf den Zeitpunkt der Entstehung der Auslagen abzustellen ist

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 02.01.2006; Aktenzeichen 543 StVK 1013/01 BwH)

 

Gründe

I.

Dem Verfahren liegt folgendes zugrunde:

Das Landgericht Frankfurt (Oder) verurteilte den Beschwerdeführer am 10. Juni 1999 wegen schweren Raubes in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen Beihilfe zum schweren Raub in drei Fällen, tateinheitlich in zwei Fällen mit Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung und wegen Hehlerei in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Nach Verbüßung von drei Jahren und neun Monaten setzte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 25. April 2002, rechtskräftig seit dem 8. Mai 2002, die Reststrafe (522 Tage) ab dem 13. Mai 2002 zur Bewährung aus.

Das Landgericht Chambéry in Frankreich verurteilte ihn am 28. Juni 2004 wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Handels, Transports und Besitzes von Betäubungsmitteln unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die er vom 19. April 2004 bis zu seiner vorzeitigen Haftentlassung am 19. September 2005 in Frankreich verbüßte. Wegen dieser neuen Straftaten wurde das Widerrufsverfahren eingeleitet.

1. Mit Schreiben vom 5. Juli 2005 beantragte Rechtsanwalt S. seine Beiordnung und teilte mit, er sei mit dem Sachverhalt in Frankreich vertraut, da er den Verurteilten dort verteidigt habe. Daraufhin bestellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin Rechtsanwalt S. am 15. August 2005 zum Pflichtverteidiger. Mit Schreiben vom 13. September 2005 teilte dieser mit, er wolle zur Frage des Widerrufs voraussichtlich bis Ende der 38. Kalenderwoche (19. bis 25. September 2005) Stellung nehmen. Mit Schreiben vom 29. September 2005 beantragte er für die Stellungnahme eine Fristverlängerung bis zum 13. Oktober 2005 und teilte mit, sein Mandant sei überraschend in Frankreich entlassen worden. Am 6. Oktober 2005 übersandte der Verteidiger schließlich die angekündigte Stellungnahme.

Ebenfalls unter dem 29. September 2005 - noch vor der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer - reichte er den Antrag auf Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen ein, unter anderem diejenigen für die - bis dahin nicht erwähnte - Reise vom 12. bis 13. September 2005 nach Örmingen/Frankreich und zurück nach Berlin, wofür er geltend machte:

Nr. 7003 VV RVG (1.602 km) 432,54 Euro

Nr. 7005 VV RVG Tage- und Abwesenheitsgeld

2 Tage mehr als 8 Stunden 112,00 Euro

Nr. 7008 VV RVG Mehrwertsteueranteil 87,13 Euro

Übernachtungskosten (gemäß Quittung) 36,00 Euro

Gesamt 667,67 Euro

Mit Beschluss vom 28. November 2005 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle diesen Betrag ab und die übrigen beantragten Pflichtverteidigergebühren und Auslagen auf 463,01 Euro fest, die sie zur Zahlung anwies.

Auf die Erinnerung des Verteidigers setzte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer als Einzelrichter mit Beschluss vom 2. Januar 2006 den darüber hinaus zu erstattenden Betrag wie folgt fest:

"Fahrtkosten gemäß Nr. 7003 VV RVG 432,54 EUR

Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Nr. 7005 VV RVG 112,00 EUR

MWSt daraus 84,43 EUR

Nachgewiesene Übernachtungskosten 36,00 EUR

Gesamt 664,97 EUR

Die dagegen gerichtete Beschwerde (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Sätze 1 und 3 RVG) der Bezirksrevisorin, zu der der Verteidiger Stellung genommen hat, hat Erfolg.

II.

Nach § 46 Abs. 1 RVG werden Auslagen, insbesondere Reisekosten nur erstattet, wenn sie erforderlich waren. Das waren sie hier nicht.

a) Für das Festsetzungsverfahren (nach § 55 RVG) verbindlich sind sie nur, wenn das Gericht des Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts vor Antritt der Reise deren Erforderlichkeit - unanfechtbar (vgl. Hartmann, Kostengesetze 37. Aufl., § 46 Rdn. 48) - festgestellt hat. Das ist hier nicht geschehen. Zu Unrecht meint der Verteidiger, es gebe keine Möglichkeit, "kostenauslösende Maßnahmen genehmigen zu lassen". Er hat sie nur nicht wahrgenommen, obgleich sich hier - wollte er das Kostenrisiko auch für den Verurteilten vermeiden - ein Antrag gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG dringend empfohlen hätte. Denn angesichts der Verfahrens- und Sachlage lag die Erforderlichkeit der Reise von vornherein fern.

Stattdessen hat der Pflichtverteidiger in keinem seiner Schriftsätze auch nur angedeutet, er wolle oder werde wegen der ihm anheim gestellten Stellungnahme zu dem Widerrufsantrag nach Frankreich reisen. Erstmals ...

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