Leitsatz (amtlich)
Die Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden nach § 176 GVG ist nicht zulässig.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 19.05.2010; Aktenzeichen (501) 69 Js 359/08 KLs (26/09)) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der Strafkammer 501 des Landgerichts Berlin vom 19. Mai 2010 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Gründe
Bei dem Landgericht ist derzeit ein Strafverfahren anhängig, in welchem dem Beschwerdeführer unter anderem vorgeworfen wird, sich gemeinsam mit den beiden Mitangeklagten des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Heroin und Kokain) schuldig gemacht zu haben. Die Ermittlungen, die unter anderem zur Sicherstellung von knapp 75 kg eines Heroingemischs mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von rund 47 Gewichtsprozent Diazetylmorphin an der türkisch-bulgarischen Grenze führten (Fall II.4. der Anklage) und in die Anklageerhebung mündeten, wurden aufgrund des Hinweises einer Vertrauensperson des Bundeskriminalamtes, der von der Staatsanwaltschaft Berlin die Geheimhaltung ihrer Identität zugesichert worden war, eingeleitet. Die Hauptverhandlung dauert an.
Mit Sicherungsverfügung vom 19. Mai 2010 hat der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer für die Sitzung am 28. Mai 2010, in der die als besonders gefährdet eingeschätzte (ehemalige) Vertrauensperson als - nunmehr namentlich bekannter und geladener - Zeuge vernommen werden soll, umfangreiche Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Hauptverhandlung getroffen.
Mit der Beschwerde seiner Verteidiger vom 20. Mai 2010 wendet sich der Angeklagte gegen die genannte Verfügung, soweit mit ihr den Bediensteten des Bundeskriminalamtes, die sich zum Zwecke des Zeugenschutzes im Sitzungssaal aufhalten werden, gestattet worden ist, verdeckt (Schuss-)Waffen zu tragen.
Das Rechtsmittel, dem der Kammervorsitzende nicht abgeholfen hat, hat keinen Erfolg.
1.
Die Beschwerde ist unzulässig. Bei der angegriffenen Anordnung des Vorsitzenden der Strafkammer handelt es sich um eine in richterlicher Unabhängigkeit getroffene sitzungspolizeiliche Maßnahme gemäß § 176 GVG, die nach ganz überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtssprechung der gesonderten Anfechtung mit der Beschwerde nach § 304 StPO grundsätzlich entzogen ist (vgl. BGH NJW 1962, 1260; OLG Zweibrücken StV 1988, 519; OLG Hamburg NJW 1976, 1987; jeweils m.w.Nachw.). Dies folgt aus § 181 GVG, wonach (nur) gegen die Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr in der Sitzung (§ 178 GVG) oder bei der Vornahme von Amtshandlungen des einzelnen Richters außerhalb der Sitzung (§ 180 GVG) - sofortige - Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt werden kann. Gegen sonstige Maßnahmen der Sitzungspolizei ist die Beschwerde dagegen gesetzlich nicht vorgesehen.
2.
Es besteht auch weder grundsätzlich noch im vorliegenden Fall ein Bedürfnis für die Eröffnung des Beschwerdeweges.
a)
Anordnungen, die in Verfahrensrechte eines Beteiligten eingreifen, sind jenseits des Beschwerdeweges überprüfbar. Denn soweit sitzungspolizeiliche Maßnahmen die Verteidigung des Angeklagten unzulässig beschränken, die wahrheitsgemäße Ermittlung des Sachverhalts gefährden oder die Grundsätze über die Öffentlichkeit verletzen, ist ihre Rügefähigkeit im Rahmen der Revision - soweit eine Maßnahme trotz ihrer sitzungspolizeilichen Natur Sachleitung ist, nach Beanstandung der Anordnung des Vorsitzenden und Herbeiführung einer Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO - anerkannt (vgl. BGH NStZ 2008, 582; NJW 1962, 1260).
Inwieweit die beanstandete Anordnung des Kammervorsitzenden im Zusammenhang mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden kann, ist hier jedoch nicht zu entscheiden. Ein - etwa von dem Beschwerdeführer angefochtenes - Urteil liegt noch nicht vor. Zudem haben seine Verteidiger ihre Eingabe vom 20. Mai 2010 ausdrücklich als Beschwerde bezeichnet.
b)
Der angefochtenen sitzungspolizeilichen Maßnahme kommt auch keine über die Dauer der Hauptverhandlung oder gar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zu. Ein Ausnahmefall, in dem Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden würden, so dass ein Bedürfnis für die ausnahmsweise Annahme der Zulässigkeit der Beschwerde bestünde, liegt nicht vor (vgl. LG Ravensburg NStZ-RR 2007, 348 m.w.Nachw.). Vielmehr erledigt sich die Wirkung der beanstandeten Anordnung mit dem Ende der Sitzung, für die sie getroffen worden ist, mithin sogar vor Ende der Hauptverhandlung.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2567751 |
NStZ 2011, 120 |