Leitsatz (amtlich)
1. Wird die Erstreckung der Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG auf hinzuverbundene Verfahren abgelehnt, steht dem Pflichtverteidiger ein eigenes Beschwerderecht zu. Der Beschuldigte hat hingegen kein eigenes Beschwerderecht.
2. Der Erstreckungsantrag kann auch noch nach rechtskräftigem Abschluss des Erkenntnisverfahrens gestellt werden.
3. Die Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung setzt nicht voraus, dass der Verteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren zuvor einen Antrag nach § 141 StPO gestellt und das Wahlmandat (konkludent) niedergelegt hat.
Normenkette
RVG § 48 Abs. 5; StPO § 304 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 11.03.2010; Aktenzeichen (502) 61 Js 4026/08 KLs (22/08)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt J... Sch..., Berlin, H...-straße 8, wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 11. März 2010 aufgehoben.
Die Wirkungen der Bestellung des Pflichtverteidigers werden auf das hinzuverbundene Verfahren (517) 61 Js 196/09 (6/09) erstreckt.
Die Beschwerde des Verurteilten gegen den genannten Beschluß wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten der Beschwerde des Pflichtverteidigers und die ihm dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat es mit Beschluß 11. März 2010 abgelehnt, die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG auf das hinzuverbundene Verfahren (517) 61 Js 196/09 (6/09) zu erstrecken, in dem Rechtsanwalt Sch... vor der Verbindung als Wahlverteidiger aufgetreten war. Dagegen hat er im eigenen und im Namen des Verurteilten Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel des Verteidigers hat Erfolg. Die Beschwerde des Verurteilten ist unzulässig.
Die Anfechtung ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Es gelten die allgemeinen Regeln der StPO, da das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 29. Januar 2008 - 4 Ws 9/08 - bei juris; OLG Düsseldorf, Beschluß vom 2. April 2004 - 3 Ws 94/07 - bei juris; Burhoff RVGreport 2004, 411).
Der Pflichtverteidiger hat ein eigenes Beschwerderecht (vgl. OLGe Hamm und Düsseldorf aaO.), da die angefochtene Entscheidung seinen Gebührenanspruch betrifft. Der Fall ist vergleichbar mit einer Beschränkung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts, die der bestellte Verteidiger - anders als die Ablehnung seiner Bestellung - selbständig anfechten kann (vgl. OLG Düsseldorf VRS 116, 273). Der Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) ist für Rechtsanwalt Sch... ebenfalls erreicht, da schon die mit dem Kostenfestsetzungsantrag vom 4. Dezember 2009 für das hinzuverbundene Verfahren geltend gemachten Grund- und Vorverfahrensgebühren (Nrn 4101, 4105 VV RVG) 200 EUR übersteigen.
Anders verhält es sich bei dem Verurteilten. Er ist durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert. Denn nur die unmittelbare Beeinträchtigung von Rechten oder schutzwürdigen Interessen begründet eine Beschwer (vgl. KK-Engelhardt, StPO 6. Aufl., Rdn. 30 zu § 304). Die Frage, ob der Verteidiger für das hinzuverbundene Verfahren eine Vergütung aus der Staatskasse verlangen kann, betrifft unmittelbar nur ihn. Auf die Rechtsstellung des Verurteilten hat das mittelbar nur insofern Einfluß, als der gegen ihn bis zur Verbindung entstandene Gebührenanspruch seines Rechtsanwalts bei einer Nichtanwendung des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG in voller Höhe erhalten bleibt (§ 15 Abs. 4 RVG) und nicht den Begrenzungen des § 52 RVG unterworfen ist, der Verurteilte andererseits bei einer gebührenrechtlichen Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das hinzuverbundene Verfahren die dadurch bedingte (zusätzliche) Vergütung seines Verteidigers aus der Staatskasse nach Nr. 9007 KV GKG als Teil der ihm auferlegten Kosten des Verfahrens (§ 465 Abs. 1 StPO) zu tragen hat.
Der Verteidiger war nicht gehindert, den Erstreckungsantrag noch nach rechtskräftigem Abschluß des Erkenntnisverfahrens zu stellen. Soweit sich die Gerichte bisher mit dieser Frage befaßt haben, gehen sie übereinstimmend davon aus, daß die Antragstellung auch nachträglich möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 2. April 2007 - 3 Ws 4/07 -; LG Dresden, Beschluß vom 25. Januar 2008 - 3 Qs 188/07 -; LG Freiburg, Beschluß 13. März 2006 - 2 Qs 3/06 - alle bei juris). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an (noch offen gelassen in KG NStZ-RR 2009, 360). Die Vorschrift des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG enthält nach ihrem Wortlaut und Zweck keine zeitliche Beschränkung. Im Gegensatz zur Pflichtverteidigerbestellung, die eine ordnungsgemäße Verteidigung gewährleisten soll und deshalb nach ganz herrschender Meinung rückwirkend nicht in Betracht kommt, ist die Erstreckungsentscheidung rein vergütungsrechtlicher Natur und für das Erkenntnisverfahren ohne Bedeutung.
Der angefochtene Beschluß hat k...