Leitsatz (amtlich)
Die Erstreckung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG setzt nicht voraus, dass der Verteidiger in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger gestellt hat.
Der Erstreckungsantrag kann auch noch nach einer erstinstanzlichen Verurteilung gestellt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Verurteilten vom 20.10.2011 wird der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 30.09.2011 (52 Ls 1480 Js 9432/10 (20/10)) aufgehoben.
Die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt Wolfgang König aus Finsterwalde werden auf die hinzuverbundenen Verfahren 52 Ls 1480 Js 13834/10 (23/10) und 51 a Ds 1830 Js 35359/09 (76/10) / 52 Ls 1830 Js 35359/09 (21/10) erstreckt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Verurteilten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 06.04.2010 (1480 Js 9432/10) wurde der Beschuldigten Rechtsanwalt König aus Finsterwalde gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO als notwendiger Verteidiger beigeordnet.
Unter dem 08.07.2010 ließ das Amtsgericht die Anklagen der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 14.04.2010 (1480 Js 9432/10), vom 18.05.2010 (1480 Js 13834/10) und vom 18.01.2010 (1830 Js 35359/09) zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht. Gleichzeitig erfolgte eine Verbindung der drei Strafverfahren unter Führung des Verfahrens 52 Ls 1480 Js 9432/10 (20/10) zur gemeinsamen Entscheidung.
In den verbundenen Verfahren nahm Rechtsanwalt König jeweils Akteneinsicht, stellte aber keinen Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger, was auch nicht in der Hauptverhandlung vom 02.09.2010 geschah. Am 09.09.2010 verurteilte das Amtsgericht die Angeklagte. Dieses Urteil wurde auf die Berufung der Angeklagten im Rechtsfolgenausspruch mit Urteil des Landgerichts Cottbus vom 24.03.2011 (25 Ns 104/10) abgeändert.
Mit Schreiben vom 30.09.2010 hatte der Verteidiger neben der Festsetzung der Gebühren und Auslagen beantragt,
dass sich die Wirkung seiner Beiordnung im Verfahren 52 Ls 1480 Js 9432/10 (20/10) auch auf die verbundenen Verfahren erstrecke.
Diesen Antrag lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 30.09.2011 ab, da ein Antrag auf rückwirkende Bestellung nach der weit überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unzulässig und unwirksam sei.
Hiergegen hat der Verteidiger namens und im Auftrag der Verurteilten mit Schreiben vom 20.10.2011, beim Amtsgericht eingegangen am 21.10.2011, Beschwerde eingelegt. Diese hat er dahingehend begründet, dass die Regelung des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG es dem Gericht überlasse, eine Erstreckung der Bestellung oder Beiordnung auf die verbundenen Verfahren anzuordnen. Ein solcher Erstreckungsantrag sei auch noch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss zulässig.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Landgericht Cottbus vorgelegt.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus ist der Auffassung des Amtsgerichts beigetreten.
Mit Schreiben vom 05.01.2012 hat der Verteidiger weiter vorgetragen, worauf Bezug genommen wird (Bl. 568 f. d.A.).
Dem Bezirksrevisor beim Landgericht Cottbus ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und zulässig.
Es gelten die allgemeinen Regeln der StPO, da das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach § 48 Abs. 5 S. 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht (vgl. KG StraFo 2012, 292; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2007, Az. 3 Ws 94/07 - [...] -; OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2008, Az. 4 Ws 9/08 - [...] -; LG Dresden, Beschluss vom 25.01.2008, Az. 3 Qs 188/07 - [...] -; Burhoff, RVG, 2. Auflage, § 48, Rdnr.: 31 m.w.N.).
In der Sache ist sie auch begründet. Dem Erstreckungsantrag war stattzugeben.
Gemäß § 48 Abs. 5 S. 3 RVG kann das Gericht bei der Verbindung von Verfahren die Wirkungen des Satzes 1 auf diejenigen Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war. Nach der Gesetzesbegründung kommt eine Erstreckung insbesondere dann in Betracht, wenn eine Bestellung in dem hinzuverbundenen Verfahren unmittelbar bevorgestanden hätte (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 201). Dies ist hier der Fall.
Zwar hatte der Verteidiger in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung keinen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger gestellt; jedoch ist eine solche Antragstellung auch nicht notwendig (vgl. KG a.a.O.; OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 261 f.; LG Kiel, Beschluss vom 29.08.2006, Az. 32 Qs 52/06 - [...] -; Burhoff a.a.O., Rdnr.: 26).
Die Kammer teilt insoweit nicht die vom LG Berlin (JurBüro 2006, 29) und LG Bielefeld (RVG professionell 2008, 154) vertretene gegenteilige Ansicht. Abgesehen davon, dass mit der Hervorhebung "insbesondere" in den Gesetzesmaterialien die dort beschriebene Fallkonstellation nur beispielhaft aufgeführt wird, lässt sich dem nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG von einem Antrag auf Pflichtverteidiger...