Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 20.06.2014; Aktenzeichen 432 OWi 76/13 Jug) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 62 km/h nach den §§ 3 Abs. 3 (Satz 1 Nr. 1), 49 (Abs. 1 Nr. 3) StVO, § 24 StVG zu einer Geldbuße von 480,- Euro verurteilt und nach § 25 Abs. 1 StVG ein dreimonatiges Fahrverbot angeordnet. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er beanstandet das Verfahren und führt zwei gegen die Beweiswürdigung sowie gegen die Festsetzung des Fahrverbots gerichtete Sachrügen aus, ohne die allgemeine Sachrüge zu erheben. Das Rechtsmittel hat mit der gegen die Beweiswürdigung gerichteten Sachrüge Erfolg.
1. Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. BGH NJW 2007, 384). Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war. Wie der zumindest überwiegende Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer allerdings nicht für ein standardisiertes Messverfahren (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, § 3 StVO 42. Aufl., Rn. 56b) im Sinne der Rechtsprechung (vgl. BayObLG DAR 1996, 323; OLG Hamm DAR 1998, 75; OLG Koblenz DAR 1994, 248; Thüringisches OLG VRS 111, 195; a. A. wohl BGH NJW 1993, 3081), so dass sich der Tatrichter in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleich bleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (vgl. Zusammenstellung und Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Owi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 1369, 1540). Bei in Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführter Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich (BayObLG DAR 2000, 320; OLG Hamm DAR 2002, 176). Für die hier festgestellten Rahmenbedingungen gilt im Einzelnen: Bei Geschwindigkeiten von 100 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter war (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2001 - 3 Ws (B) 516/01 - [juris]; OLG Bamberg DAR 2006, 517; OLG Braunschweig DAR 1989, 110). Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h soll der Verfolgungsabstand nicht mehr als 100 Meter betragen (vgl. BayObLG DAR 1996, 288; OLG Düsseldorf NZV 1990, 318; Thüringisches OLG aaO.). Je kürzer die Messstrecke ist, desto genauere Angaben sind im Urteil über den Abstand zu machen (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg DAR 1977, 52; Schleswig-Holsteinisches OLG VerkMitt 1974, Nr. 42).
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Ob die mit "mindestens 400 - 500 Meter" angegebene Messstrecke bei der hier ermittelten Nettogeschwindigkeit von 112 km/h (brutto: 140 km/h) für sich ausreichend ist oder ein eventuelles Manko gegebenenfalls durch weitere Feststellungen kompensiert werden könnte, kann hier ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrem Ansatz, die tatsächliche Messstrecke durch die Einbeziehung eines Navigationsprogramms (google maps) auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen mit tatsächlich 700 Meter zu ermitteln, durchdringen kann. An letzterem bestehen Bedenken zumindest in Bezug auf die im Urteil mitgeteilten "Anknüpfungstatsachen", denen zufolge die Messung "kurz vor der Einmündung Lindenthaler Allee, wo der Betroffene das Fahrzeug abgebremst habe, weil er dort links abbiegen wollte" (UA S. 3), endete. Diese Feststellungen lassen letztlich offen, wie weit das voran fahrende Fahrzeug von der Kreuzung entfernt war, als die Messung beendet wurde, so dass die von der Generalstaatsanwaltschaft erstrebte Korrektur, zumi...