Leitsatz (amtlich)
Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers kommt nur ausnahmsweise in Betracht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 13.05.2019; Aktenzeichen (540 Ks) 234 Js 254/18 (10/18)) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer 40 des Landgerichts Berlin vom 13. Mai 2019 - in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 7. Juni 2019 - wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Gegen den Angeklagten findet seit dem 12. Februar 2019 die Hauptverhandlung vor der 40. Großen Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Berlin statt. Nachdem im Vorverfahren zunächst Rechtsanwalt A als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, meldete sich mit Schriftsatz vom 28. Januar 2019 Rechtsanwalt B als Wahlverteidiger des Angeklagten. Auf eine Entpflichtung von A verzichtete der Vorsitzende nur, weil Rechtsanwalt B erklärte, nicht durchgehend an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können.
Mit Antrag vom 30. April 2019 beantragte Rechtsanwalt B namens des Angeklagten, diesem ihn (Rechtsanwalt B) neben seinem bisherigen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt A als weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen, weil die "erhebliche Komplexität" und der Umfang des Verfahrens die Mitwirkung eines zweiten Pflichtverteidigers erfordere.
In dem angefochtenen Beschluss vom 13. Mai 2019 hat der Schwurgerichtsvorsitzende seine Ansicht dargelegt, dass weder die Schwierigkeit noch der Umfang des Verfahrens die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers erfordere. Die Planung der Kammer gehe dahin das Verfahren innerhalb von weniger als zehn weiteren Verhandlungstagen abzuschließen.
Mit seiner Beschwerde vom 27. Mai 2019 wendet sich der Angeklagte gegen die Zurückweisung seines Antrags vom 30. April 2019.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde durch seine Entscheidung vom 7. Juni 2019, auf die der Senat wegen ihres näheren Inhalts verweist, nicht abgeholfen.
II.
1. Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig, insbesondere nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, da die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers Rechtswirkungen entfaltet, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen (vgl. OLG Hamburg StraFo 2000, 383; OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 261; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 305 Rn. 5, § 141 Rn. 10a).
2. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
a) Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn hierfür wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Unter anderem besteht ein solches unabweisbares Bedürfnis bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie dann, wenn sich die Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder aber der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich ist, dass er auch nach Ausschöpfung aller Hilfsmittel nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann (vgl. KG OLGSt StPO § 140 Nr. 36; Beschlüsse vom 15. August 2011 - 4 Ws 75/11 -, 21. Juli 2003 - 4 Ws 126/03 - und 5. November 1997 - 4 Ws 236, 237/97 -; KG StV 2017, 155 = StraFo 2016, 414; OLG Hamburg aaO; OLG Frankfurt/M. StV 1993, 348; OLG Brandenburg aaO; OLG Karlsruhe StraFo 2009, 517; OLG Jena, Beschluss vom 7. Oktober 2011 - 1 Ws 433/11 - juris; Senat, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 Ws 176/16 -, juris; jeweils mwN).
Dabei kommt die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit oder des Umfangs der Strafsache allein zur Ermöglichung einer wechselseitigen Vertretung der Verteidiger oder zur allgemeinen Arbeitsentlastung des bestellten Verteidigers oder des Wahlverteidigers nicht in Betracht (vgl. KG, Beschlüsse vom 22. August 2016 - 4 Ws 121/16 - und 9. Februar 2015 - 4 Ws 19/15 -; OLG Jena aaO; OLG Hamm NStZ 2011, 235 = StV 2011, 660). Im Hinblick auf die erwartete Dauer der Hauptverhandlung existiert keine starre Grenze dergestalt, dass ab einer bestimmten Anzahl von Verhandlungstagen die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers in der Regel erforderlich ist. Eine solche Bestellung im Fall einer außergewöhnlich langen Hauptverhandlung beruht auf der Erfahrung, dass eine längere Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger werde planwidrig verhindert sein, und nimmt damit die allgemeine Prozessmaxime der Verfahrensbeschleunigung sowie gegebenenfalls auch das Gebot der besonderen Beschleunigung in Haftsachen auf (vgl. OLG Brandenburg; OLG Hamburg; OLG Frankfurt/M.; jeweils aaO; OLG Hamm NJW 1978, 1986; Senat, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 Ws 176/16 -, juris). Sie ist aber nur dann geboten, wenn und so...