Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen des Widerrufs der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund gegen den Willen des Angeklagten
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 22.09.2008; Aktenzeichen (528) 67 Js 25/08 (12a/08)) |
Tenor
Eine Entscheidung des Senats über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten ist derzeit nicht veranlasst.
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 28. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 22. September 2008 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seiner Beschwerde zu tragen.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten gewerbs-mäßigen Einbruchsdiebstahl in vier Fällen zur Last; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Anklageschrift vom 1. April 2008 Bezug genommen. Der Angeklagte befindet sich seit dem 16. März 2008 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom selben Tage - 380 Gs 135/08 -, dieser ersetzt durch Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 11. Juli 2008 in Untersuchungshaft. Gegenstand dieses Haftbefehls, der die Prüfungsgrundlage für eine Haftentscheidung des Senates bildet, ist der Vorwurf des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls in drei Fällen. Das Landgericht Berlin hält die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus für erforderlich und hat die Akten daher dem Senat zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt.
Zugleich hat der Senat über eine Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerruf der Bestellung seiner bisherigen Pflichtverteidigerin zu entscheiden. Diese ist von der Vorsitzenden der Strafkammer mit der Begründung widerrufen worden, die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sei in Anwesenheit der bisherigen Pflichtverteidigerin nicht möglich, weil sie der Vorsitzenden ständig ins Wort falle und in großer Lautstärke Ausführungen mache, so dass die Ausführungen der Vorsitzenden kaum noch zu verstehen seien. Von dieser Verfahrensweise sei die Pflichtverteidigerin trotz wiederholter Beanstandungen ihres Verhaltens nicht abgerückt und habe zur Begründung erklärt, die StPO verlange von ihr, dass sie Einwände stets unverzüglich vorbringen müsse, damit diese nicht wegen Verspätung zurückgewiesen würden. Überdies habe die Pflichtverteidigerin wiederholt ohne nähere Begründung "Widerspruch" gegen beabsichtigte Beweiserhebungen der Vorsitzenden erhoben, gegen die Sachleitung der Vorsitzenden bestätigende Gerichtsbeschlüsse Gegenvorstellung erhoben und deren Bescheidung darüber durch weitere Gerichtsbeschlüsse verlangt. Ferner habe die Pflichtverteidigerin gerügt, dass die Vorsitzende die Sachleitung betreffende Entscheidungen nicht zuvor mit den Schöffen beraten habe, und im Anschluss an die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung ohne nähere Begründung erklärt, sie habe zwar noch Fragen an den Zeugen, werde diese jedoch derzeit nicht stellen.
1.
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerruf der Bestellung seiner bisherigen Pflichtverteidigerin ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch nicht durch § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung der Vorsitzenden um eine solche, die der des erkennenden Gerichts gleichzustellen ist. Sie steht jedoch nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung, sondern dient der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und hat eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. OLG Köln, NStZ 1991, 248; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. , § 141 Rdnr. 4 m. N.). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Widerruf der Bestellung von Rechtsanwältin P. als Pflichtverteidigerin begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken.
Rechtsgrundlage für die Bestellung des Pflichtverteidigers ist § 141 StPO. Dieselbe Vorschrift bietet ihrer Ratio entsprechend auch die allgemeine Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bestellung. Verfassungsrechtlich unbedenklich kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch gegen den Willen des Angeklagten widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliegt (vgl. BVerfGE 339, 238, 244). Als ein solcher wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Betracht, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. KG, JZ 1982, 349; Senatsbeschlüsse vom 30. Juni 2006 - 3 Ws 325/06 - und vom 24. Mai 2006 - 3 Ws 262/06 - jeweils m.w.N.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Vorsitzende zu prüfen hat, ob das Vorgehen des Verteidigers sachlich im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten liegt. Der Pflichtverteidiger ist in der Art und Weise der Führung der Verteidigung ebenso frei wie der gewählte Verteidiger. Als ein neben dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege untersteht er grundsätzlich nicht der Kontrolle und Bewertung seiner Tätigkeit durch das Gericht. Hiernach rechtfertigt nicht schon jedes objektiv unzweckmäßige oder prozessordnungswidrige Ver...