Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergleichsvorschlag ¾ zu ¼ zu Lasten des Fahrgastes angenommen
Leitsatz (amtlich)
1. Es obliegt dem Fahrgast eines Linienbusses für hinreichende Eigensicherung zu sorgen, da er jederzeit während der Fahrt mit ruckartigen Bewegungen des Verkehrsmittels rechnen muss, die seine Standsicherheit beeinträchtigen; denn derartige Erscheinungen liegen in der Natur des Busbetriebes.
2. Stürzt der Fahrgast, der sich bei Annäherung an eine Haltestelle während einer Betriebsbremsung zum Aussteigen von seinem Sitz erhoben hat, weil er einen Bremsruck verspürte und eine Haltestange verfehlte, kann an eine Haftungsverteilung von ¾ zu ¼ zu Lasten des Fahrgastes gedacht werden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 36/09) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten hat Aussicht auf Erfolg, wobei der Umfang des Erfolges von der Bewertung des klägerischen Mitverschuldens einerseits in Abwägung mit der Betriebsgefahr des Busses und dem nach § 18 StVG gesetzlich vermuteten Verschulden des Erstbeklagten andererseits abhängt.
Den Parteien wird daher ein Vergleich vorgeschlagen.
Gründe
I. Der am 20.8.1931 geborene Kläger kam am 31.8.2008 gegen 14.00 Uhr in einem vom Erstbeklagten geführten und von den Zweitbeklagten gehaltenen Linienbus während eines Abbremsens zum Anhalten an einer Haltestelle zu Fall, wodurch er erheblich verletzt wurde. Er hat deshalb angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 6.000 EUR, Schadensersatz (81 EUR) sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz von Zukunftsschäden begehrt.
Bei Anfahrt des Busses an die Haltestelle hatte sich der Kläger von seinem Sitzplatz im vorderen rechten Bereich des Busses erhoben, um auszusteigen. Der Erstbeklagte bremste den Bus zum Zwecke des Anhaltens ab. Der Kläger geriet dadurch aus dem Gleichgewicht und stürzte auf den Rücken.
Der Kläger hat behauptet, der Erstbeklagte habe ruckartig gebremst, was für ihn nicht vorhersehbar gewesen sei.
Die Beklagten haben behauptet, der Erstbeklagte habe normal abgebremst. Der Unfall sei alleine darauf zurückzuführen, dass der Kläger sich keinen ausreichenden Halt verschafft habe, wozu er verpflichtet gewesen sei.
Das LG hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Da der Kläger bei dem Betrieb des vom Erstbeklagten gelenkten Bus der Zweitbeklagten verletzt worden sei, bestehe eine Haftung der Erstbeklagten aus § 7 StVG; eine genaue Aufklärung der Art der Bremsung sei nicht möglich, so dass der Entlastungsbeweis für den Erstbeklagten nach § 18 nicht geführt sei.
Die Beklagten hätten auch kein Mitverschulden (§ 254 BGB) des Klägers bewiesen; denn die Pflicht nach § 4 Abs. 2 S. 5 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen gehe dahin, sich stets einen sicheren Halt "zu suchen"; die Pflicht beschränke sich dem Wortlaut nach auf das "Suchen". Hier stehe aber nicht fest, dass der Kläger keinen Halt "gesucht" habe, sondern nur, dass er diesen Halt nicht gefunden habe (UA 4).
Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.
Sie machen geltend: Das Erstgericht habe verkannt, dass der Kläger weder vorgetragen noch bewiesen habe, dass er durch einen Fahrfehler des Erstbeklagten oder aufgrund einer erhöhten Betriebsgefahr des Busses verletzt worden sei.
Auch spräche gegen den Kläger schon der Anscheinsbeweis, dass er sich nicht hinreichend festgehalten habe. Entgegen der Auffassung des LG hatte er nach den Allgemeinen Beförderungsbedingungen auch nicht nur einen sicheren Halt zu suchen, sondern sich diesen Halt zu verschaffen, und zwar auch beim Aufstehen vom Sitzplatz. Das erhebliche Eigenverschulden lasse die Haftung der Beklagten völlig zurücktreten.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet, dass es für den Kläger ausreichende Haltemöglichkeiten im Bus gegeben habe; als der Erstbeklagte sein Fahrzeug unvorhersehbar ruckartig abgebremst habe, habe er an der nächsten avisierten Haltestange vorbei gegriffen und sei zu Fall gekommen.
II. Die Berufung hat Aussicht auf Erfolg, dessen Umfang von der Abwägung der zu bewertenden Verursachungs- und Verschuldensanteile der Parteien abhängt (§§ 7, 9, 18 StVG, § 254 BGB).
Nach § 513 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Hier hat das LG die Voraussetzungen des Mitverschuldens des Klägers verkannt.
1. Soweit das LG die grundsätzlichen Voraussetzungen eine Haftung der Beklagten aus einfacher Betriebsgefahr des Busses (§ 7 StVG) und vermutetem Verschulden des Busfahrers (§ 18 StVG) hergeleitet hat, begegnet dies keinen Bedenken.
Auch die Beklagten vertreten die Auffassung, dass eine Haftung aus einfacher Betriebsgefahr des Busses lediglich im Wege der Abwägung mit dem erheblichen Eigenverschulden des Klägers entfällt (vgl. S. 2, 3 der Berufungsbegründung).
2. Die Beklagten rügen zu Recht, dass das LG die Grundsätze zum Mitverschu...