Leitsatz (amtlich)
1. Der schriftlich bevollmächtigte Verteidiger kann für den Betroffenen einen Entbindungsantrag stellen und sodann - als Aussagemittler - den Betroffenen bindende Erklärungen zur Sache abgeben.
2. Die nach § 73 Abs. 2 OWiG erforderlichen Erklärungen können durch den vertretungsberechtigten Verteidiger auch noch in der Hauptverhandlung abgegeben werden, sofern noch nicht zur Sache selbst verhandelt worden ist.
Normenkette
OWiG § 73 Abs. 2, § 74
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 27.05.2014; Aktenzeichen 303 OWi 1224/13) |
Tenor
Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Mai 2014 zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde wird das genannte Urteil aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Mit Bußgeldbescheid vom 25. Juli 2014 hat der Polizeipräsident in Berlin gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld von 120,- Euro festgesetzt. Zu dem auf seinen Einspruch anberaumten Hauptverhandlungstermin ist der Betroffene nicht erschienen, wohl aber sein Verteidiger. Dieser hat beantragt, den Betroffenen von der Verpflichtung, persönlich erscheinen zu müssen, zu entbinden. Zugleich hat er erklärt, sein Mandant räume ein, das gemessene Fahrzeug zur Tatzeit geführt zu haben. Das Amtsgericht hat den Entbindungsantrag mit der Begründung abgelehnt, es liege "keine im Vorfeld der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung, die nach § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG verwertbar wäre, vor". Der Verteidiger könne die Erklärung, der Betroffene habe das Kraftfahrzeug geführt, nicht beweiskräftig abgeben. Daraufhin hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen durch auf § 74 Abs. 2 OWiG gestütztes Urteil verworfen. Mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde macht der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zu. Das Amtsgericht hat den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, indem es den Antrag des Betroffenen, in der Hauptverhandlung nicht persönlich erscheinen zu müssen, abgelehnt und seinen Einspruch in der Folge ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat.
1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, zu Unrecht abgelehnt und durch die Verwerfung seines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist ordnungsgemäß ausgeführt.
a) Die Rechtsmittelschrift legt dar, welcher Vorwurf gegen den Betroffenen erhoben wird. Auch führt sie aus, dass der Betroffene seinen Verteidiger zu seiner Verteidigung und Vertretung ermächtigt hat und dass der Verteidiger im Namen des Betroffenen die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt hat, zur Sache keine weiteren Angaben zu machen. Ferner teilt sie den Entbindungsantrag und den Gerichtsbeschluss jeweils im Wortlaut mit.
b) Weiterer Ausführungen bedurfte es nicht. Denn aus den Darlegungen ergibt sich bereits, dass von der Anwesenheit des Betroffenen keine weitere Aufklärung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2013 - 3 Ws (B) 202/13 - [juris]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 2 (6) SsRs 279/12 - [juris]). Der sonst im Rahmen einer Gehörsrüge erforderlichen Darlegung, was der Betroffene in der Hauptverhandlung vorgetragen hätte, bedarf es hier nicht, weil der Betroffene nicht rügt, dass ihm eine Stellungnahme zu entscheidungserheblichen Tatsachen verwehrt worden sei, sondern dass das Gericht seine Erklärung zur Sache in dem Entbindungsantrag seines Verteidigers nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Juni 2014 - 3 Ws (B) 288/14 - und vom 8. Juni 2011 - 3 Ws (B) 283/11 -; Brandenburgisches OLG NZV 2003, 432).
2. Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte den Betroffenen von der Verpflichtung, in der Hauptverhandlung persönlich erscheinen zu müssen, entbinden müssen. Dazu ist das Gericht nach § 73 Abs. 2 OWiG verpflichtet, wenn der Betroffene sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht die Entscheidung nicht im Ermessen des Gerichts; vielmehr ist dem Antrag zu entsprechen (vgl. Senat in std. Rspr., Beschlüsse vom 5. Juni 2014 und vom 8. Juni 2011 jeweils aaO. sowie VRS 111, 146; Beschlüsse vom 5. Oktober 2007 - 3 Ws (B) 522/07 - und 2. August 2006 - 3 Ws (B) 395/06 -; OLG Dresden DAR 2005, 460).
Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG lagen hier vor.
a) Der Verteidiger hat im Rahmen seiner durch Vollmacht nachgewiesenen Vertretungsmacht beantragt, den Betroffenen von der Verpflichtung zum pers...