Leitsatz (amtlich)
Hat das Amtsgericht den Betroffenen von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens entbunden, so darf es, wenn zur Hauptverhandlung weder dieser noch der geladene Verteidiger erschienen sind, den Einspruch nicht durch Urteil verwerfen. Vielmehr ist die Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers durchzuführen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 06.09.2018; Aktenzeichen (294 OWi) 3031 Js-OWi 4528/18 (375/18)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. September 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 25. Januar 2018 gegen den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes (sog. qualifiziertem Rotlichtverstoß) eine Geldbuße von 200 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen.
Der Verteidiger hat fristgemäß Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hat den (vertretungsbevollmächtigten) Verteidiger und den Betroffenen zur Hauptverhandlung am 6. September 2018 geladen. Auf Antrag ist der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Hauptverhandlungstermin mit Beschluss vom 22. Mai 2018 entbunden worden. Zur Hauptverhandlung sind weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen. Das Amtsgericht hat den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten verworfen, weil - so das Amtsgericht - der Betroffene, der von einem persönlichen Erscheinen nicht entbunden war, sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt hat.
Der Verteidiger beantragt die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs und erhebt eine - ohne den Fachbegriff zu nennen - Verfahrensrüge, in dem er die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung rügt.
II.
1. Der Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es nicht, weil neben der Geldbuße auch ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet worden ist (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig, weil sie in einer den Anforderungen nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausreichenden Form erhoben worden ist. Die Begründung des Rechtsmittels weist den gegen den Betroffenen erhobenen Tatvorwurf, den Verfahrensgang (Ladung, den Inhalt des Entbindungsantrages, den der Entbindungsentscheidung) und die Urteilsgründe aus.
3. Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte den Einspruch nicht verwerfen dürfen. Zwar waren weder der Betroffene noch sein Verteidiger zu diesem Termin erschienen. Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG lagen aber gleichwohl nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid bei Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nur verworfen werden, wenn dieser nicht genügend entschuldigt ist und von seiner Präsenzpflicht nicht entbunden war. Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Das Amtsgericht hatte den Betroffenen durch Beschluss vom 22. Mai 2018 vom persönlichen Erscheinen entbunden. Damit hätte das Amtsgericht, als der Betroffene nicht erschienen war, nach § 74 Abs. 1 OWiG verfahren und die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchführen müssen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass auch der (bevollmächtigte) Verteidiger des Betroffenen, der ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen war, in der Hauptverhandlung nicht erschienen war. § 73 Abs. 3 OWiG verpflichtet den Betroffenen nicht, sondern eröffnet ihm lediglich die Möglichkeit, sich durch einen bevollmächtigten Verteidiger im Hauptverhandlungstermin vertreten zu lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. Juni 2015 - III - 5 RBs 84/15 -, juris). Der Verteidiger ist zudem auch nicht verpflichtet, im Fall des Nichterscheinens des von seiner Anwesenheitspflicht befreiten Betroffenen an der Hauptverhandlung teilzunehmen (vgl. OLG Hamm NZV 2001, 491).
4. Damit war Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde, nach § 79 Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Fundstellen
Dokument-Index HI12430787 |