Leitsatz (amtlich)
Der sozialrechtliche Begriff des Getrenntlebens nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II deckt sich mit der zivilrechtlichen Begrifflichkeit gem. § 1567 Abs. 1 BGB und deshalb kann ein Ehegatte, der für den anderen Ehegatten Leistungen nach dem SGB II entgegennimmt oder diesen dem Jobcenter gegenüber als zu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörend bezeichnet, von ihm nicht gleichzeitig getrennt leben. Mangels eines Getrenntlebens kann die betreffende Ehe daher auch nicht geschieden werden mit der Folge, dass ein dahingehender Antrag auf Verfahrenskostenhilfe keine Erfolgsaussichten hat.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 06.03.2012; Aktenzeichen 182 F 1426/12) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 6.3.2012 - 182 F 1426/12 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO), jedoch nicht begründet. Das Familiengericht hat der Antragstellerin aufgrund von fehlenden Erfolgsaussichten zu Recht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung - einen Antrag auf Ehescheidung nach einjährigem Getrenntleben - versagt; der auf Art. 17 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 1 EGBGB, §§ 1565, 1566 Abs. 1, 1567 Abs. 1 BGB gestützte Antrag hat auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich keinen Erfolg:
Eine Ehe kann, von dem hier nicht gegebenen Fall des § 1565 Abs. 2 BGB, der unzumutbaren Härte für einen Ehegatten, mit dem anderen weiter dem Bande nach noch verheiratet zu sein, geschieden werden, soweit die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und der Antragsgegner - wie hier - der Scheidung zustimmt (§§ 1565 Abs. 1, 1566 Abs. 1 BGB). Voraussetzung für das Getrenntleben ist, dass zwischen den Ehegatten keine häusliche Gemeinschaft mehr besteht und (mindestens) ein Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt (§ 1567 BGB). Die Trennung kann dabei, wie die Beschwerde insoweit völlig zu Recht hervorhebt, selbstverständlich auch innerhalb der ehelichen Wohnung erfolgen (§ 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Trennung muss dabei freilich dergestalt sein, dass kein gemeinsamer Haushalt mehr geführt wird und keine wesentlichen persönlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten mehr bestehen. Erforderlich ist, dass sich die Gemeinsamkeiten auf das Unvermeidliche wie beispielsweise die gemeinsame Benutzung von Küche oder Bad beschränken (vgl. MünchKomm/BGB/Ey [5. Aufl. 2010], § 1567 Rz. 24); dass also die Ehegatten nicht mehr wie ein verheiratetes Paar, sondern eher wie eine Wohngemeinschaft zusammenleben. Das setzt neben einer eindeutigen räumlichen Trennung innerhalb der Ehewohnung insbesondere auch die Existenz von zwei getrennten Haushalts- und Wirtschaftsbereichen voraus (vgl. Büte, FPR 2007, 231 [232]).
Hieran fehlt es, wie das Familiengericht zutreffend festgestellt hat, ganz offensichtlich: Die Antragstellerin hat durch die Vorlage ihres Bescheides über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 13.12.2011 mittelbar selbst vorgetragen, dass sie jedenfalls nicht vor Ende September/Anfang Oktober 2011 getrennt lebt. Der Bescheid über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurde erst mit Wirkung ab dem 1.10.2011 dahingehend umgestellt, dass die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller lediglich noch die beiden gemeinsamen Kinder der Ehegatten umfasst und nicht mehr, wie offenbar bis dahin, auch den Antragsgegner. Zur Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II gehören nämlich, außer dem Hilfsbedürftigen und dessen unverheirateten, im Haushalt lebenden Kinder vor Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) insbesondere der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte (§ 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II). Wenn die Antragstellerin nun, wie dies offenbar bis zum Auszug des Antragsgegner aus der Ehewohnung zum 15.10.2011 der Fall war, Leistungen auch für den Antragsgegner entgegengenommen hat oder den Antragsgegner dem Jobcenter gegenüber als zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehörend bezeichnet, dann kann sie nicht gleichzeitig von ihm getrennt gelebt haben; dies auch dann nicht, wenn das - angebliche - Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung erfolgt sein soll. Denn der sozialrechtliche Begriff des Getrenntlebens nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II deckt sich mit der zivilrechtlichen Begrifflichkeit gem. § 1567 Abs. 1 BGB. Der sozialrechtliche Ausdruck der Bedarfsgemeinschaft bezeichnet nichts anderes als das gemeinsame Wirtschaften "aus einem Topf"; nämlich das Bestehen eines gemeinsamen, einheitlichen Haushalts- und Wirtschaftsbereichs beider Ehegatten und schließt damit ein Getrenntleben denknotwendig aus. Ein weiteres Indiz für das fehlende Getrenntleben vor Ende September/Anfang Oktober 2011 ergibt sich weiter auch aus § 7 Abs. 3a Nr. 1 bis 3 SGB II: Danach ist ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, zu vermuten, sobald Partner ...