Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Entschädigung aus Art. 5 Abs. 5 EMRK wegen eines zehn Jahre überschreitenden, gegen Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK verstoßenden Vollzugs einer erstmalig vor In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I 160) angeordneten Sicherungsverwahrung (EGMR, Urt. v. 17.12.2009 - Beschwerde-Nr. 19359/04) richtet sich auch gegen die Bundesrepublik Deutschland. Diese haftet aufgrund ihrer konventionswidrigen Gesetzgebung für den ihr gem. § 830 BGB zurechenbaren Eingriff in das Freiheitsrecht aus Art. 5 Abs. 1 EMRK neben den diese Gesetzgebung vollziehenden Ländern gem. § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldnerin. Eine Beschränkung der Haftung auf die das konventionsrechtswidrige Bundesrecht vollziehenden Länder lässt sich weder Art. 5 Abs. 5 EMRK noch Art. 34 Satz 1 GG entnehmen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 03.12.2013; Aktenzeichen 28 O 184/13)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG Berlin vom 3.12.2013 dahin abgeändert, dass dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Klage in Höhe eines Betrages von 10.500 EUR nebst anteiliger Zinsen hinsichtlich seines angekündigten Klageantrags zu 1) und i.H.v. 851,80 EUR hinsichtlich seines Klageantrags zu 3) unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte B.& H.aus D.zu den Bedingungen eines in B.ortsansässigen Rechtsanwalts bewilligt wird. Im Übrigen wird seine sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Die Gebühr aus Nr. 1812 GKG-KV wird auf die Hälfte ermäßigt.

 

Gründe

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere nach §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist auch in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit verspricht die von dem Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass ihm insoweit, da er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der von ihm beabsichtigten Rechtsverfolgung aufzubringen, gemäß den §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten für die von ihm beabsichtigte Klage zu gewähren war, wobei die Kostenübernahme für die Beiordnung seiner nicht im KGbezirk niedergelassenen Prozessbevollmächtigten gem. § 121 Abs. 3 ZPO auf die Kosten ortsansässiger Prozessbevollmächtigter zu begrenzen war.

1. Dem Antragsteller steht wegen seiner Unterbringung in Sicherungsverwahrung, soweit sie zehn Jahre überschritten hat, ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen seines immateriellen Schadens hieraus gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK zu. Insoweit verstieß der erst aufgrund der Gesetzesänderung der Antragsgegnerin von 1998 über zehn Jahre hinaus unbefristet zugelassene Vollzug einer, wie hier, bereits zuvor erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung gegen Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EMRK (EGMR, Urteil vom 17.12.2009 - Beschwerde Nr. 19359/04). Dass Entschädigungsansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK wegen des immateriellen Schadens gegen die die Sicherungsverwahrung vollziehenden Länder begründet ist, ist durch die Urteile des BGH vom 19.9.2013 (III ZR 405/12, III ZR 406/12, III ZR 407/12, III ZR 408/12) geklärt, wobei die Geldentschädigung mit 500 EUR je Monat in Anlehnung an die Entschädigungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für immaterielle Schäden nach Art. 41 EMRK angemessen bewertet ist (vgl. statt aller BGH, Urt. v. 19.9.2013 - III ZR 405/12 -, juris Rz. 10, 28). In dieser Höhe hat auch der Senat bereits wiederholt Geldentschädigungsansprüche wegen des zehn Jahre überschreitenden Vollzugs von erstmalig vor 1998 angeordneter Sicherungsverwahrung durch das Land B.für begründet gehalten (vgl. etwa Hinweis- und Berufungszurückweisungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 2 ZPO vom 27.6.2014 und 30.9.2014 in den Berufungsverfahren 9 U 51/13, 9 U 55/13 und 9 U 57/13), so dass die von dem Antragsteller beabsichtigte Klage i.H.v. 10.500 EUR, nämlich i.H.v. 500 EUR für die zehn Jahre überschreitenden 21 Monate seiner Sicherungsverwahrung, hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Nicht gesondert zu berücksichtigen ist insoweit eine etwaige - hier im Übrigen weder dargelegte noch sonst ersichtliche - Versteuerung der zugesprochenen Entschädigungssumme, von der der Antragsteller mit seinem beabsichtigten Klageantrag zu 2) freigestellt werden möchte. Soweit der Antragsteller des Weiteren mit dem beabsichtigten Klageantrag zu 3) einen Anspruch auf Freistellung von seinen vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend machen möchte, verspricht dies nur insoweit Aussicht auf Erfolg, als die Geltendmachung der Hauptforderung Aussicht auf Erfolg verspricht, also bei einem Streitwert von 10.500 EUR nur i.H.v. 851,80 EUR (1,3 Geschäftsgebühr: 683,80 EUR, zzgl. Telekommunikationspauschale: 20 EUR, zzgl. Auslagen: 12 EUR,...

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