Leitsatz (amtlich)
1. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist nicht dahin auszulegen, dass sozial integrierte Straftäter in der Regel nur die Hälfte der Strafe verbüßen müssen.
2. Die Begehung einer Vielzahl von Taten durch einen Ersttäter, ein langer Tatzeitraum und ein hoher Schaden sind Modalitäten, die schon jeweils für sich genommen, maßgeblich gegen das Vorliegen "besonderer Umstände" im Sinne dieser Vorschrift sprechen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 24.06.2014; Aktenzeichen 597 StVK 195/14) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 24. Juni 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Der Verurteilte verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten wegen Betruges in 27 Fällen aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Mai 2011. Die Hälfte der Strafe war am 27. März 2014 verbüßt. Zwei Drittel der Strafe werden am 9. Mai 2015 vollstreckt sein; das Strafende ist auf den 9. August 2017 notiert.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen. Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten ist statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie hat jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechen, in der Sache keinen Erfolg.
1) Die Entscheidung über eine Aussetzung der Vollstreckung schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung im Strafvollzug das Vorliegen besonderer Umstände ergibt, die über eine günstige Prognose hinausgehen. In die Gesamtwürdigung fließen zudem Gesichtspunkte der Schuldschwere (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 2012 - 2 Ws 475/12 -; vom 22. Mai 2001 - 5 Ws 233/01 - und 17. Oktober 1997 - 5 Ws 576/97 -), der Generalprävention (vgl. BGHR StGB § 57 Abs. 2 Versagung 1) und damit der Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. OLG München NStZ 1987, 74; Senat ZfStrVo 1996, 247) ein. Dabei ist auch darauf abzustellen, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung auf das Unverständnis der Bevölkerung stoßen und deren Rechtstreue ernstlich beeinträchtigen würde (vgl. BGHSt 24, 40, 46), so dass für die Aussetzung sprechende rein täterbezogene Umstände ausnahmsweise zurücktreten müssen (vgl. BGHSt 24, 64, 69; Senat aaO.). An eine Aussetzung sind dabei strenge Maßstäbe anzulegen. Dem Ausnahmecharakter der Regelung des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB entsprechend sind besondere Umstände nur solche, die im Vergleich mit gewöhnlichen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind. Dabei sind sowohl günstige als auch ungünstige Umstände zu beachten; dies gilt unabhängig davon, ob sie bereits im Urteil berücksichtigt worden sind (vgl. Senat ZfStrVo 1996, 247 und Beschluss vom 13. März 2007 - 2/5 Ws 623/624/06 -).
Bei der Bewertung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten ist der Senat an die Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts gebunden und gehindert, zu Beweisergebnissen zu gelangen, die den Erkenntnissen des Tatgerichts widersprechen (vgl. Senat ZfStrVO 1996, 247 und Beschluss vom 19. August 2008 - 2 Ws 418/08 -).
2) Solche besonderen für den Verurteilten sprechenden Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.
a) Nach den Urteilsgründen führte der Verurteilte ab 1980 eine Apotheke, die sich später auf den Vertrieb von HIV - Medikamenten spezialisierte. Ab dem Jahre 2003 begann er, Kunden einen Teil des Rezeptwertes (zunächst 5%, später nur noch 2% bis 3%) in bar zu erstatten. In der Zeit von Januar 2007 bis März 2009 kaufte der Beschwerdeführer seinen Kunden Rezepte für HIV - Medikamente ab und reichte die Verordnungen bei den entsprechenden Krankenkassen ein, ohne dass die Medikamente bestellt wurden. Dadurch verursachte er bei den Krankenkassen einen Schaden von über zehn Millionen Euro. Einkommensteuerschulden bestanden in Höhe von 1,8 Millionen Euro. Im Laufe der Zeit wurde der Verurteilte von Kunden und Dritten unter Druck gesetzt, indem diese Personen ihm mit Anzeigen drohten. An solche Personen zahlte er ungefähr 250.000 Euro jährlich.
b) Die in der Person des Verurteilten liegenden günstigen Umstände reichen auch in einer Gesamtschau nicht an solche heran, die angesichts der hier überragenden generalpräventiven Erwägungen eine Strafaussetzung zur Bewährung schon nach der Verbüßung der Hälfte der Strafe rechtfertigen.
Zwar ist der Verurteilte Erstbestrafter und hat noch keine Strafhaft verbüßt. Doch spricht ganz erheblich zu seinen Lasten, dass er über einen langen Zeitraum hinweg zum Teil sogar mehr als 100 Rezepte monatlich ankaufte und die Krankenkassen in hohem Maße schädigte. Hinzu kommt, dass er dadurch auch die Gesundheit der Menschen, die ihre Medikament...