Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Wendet sich ein Fahrzeugführer mit überhöhter Geschwindigkeit über einen Zeitraum von sechseinhalb Sekunden im Berufsverkehr auf einer vielbefahrenen Straße, anstatt den Verkehr zu beobachten, der Lektüre von Speichermedien zu, kann dies die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung rechtfertigen.
Normenkette
StVO § 3 Abs. 3 Nr. 1; OWiG § 10; BKatV § 3 Abs. 4a
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 22.04.2021) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. April 2021 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Ergänzend zu der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 15. Juli 2021, deren Ausführungen sich der Senat zu Eigen macht, merkt der Senat lediglich an:
1. Der Hinweis des Verteidigers, zur Tatzeit (11. Juli 2020 um 17:03 Uhr) sei die Sonne noch nicht astronomisch untergegangen, ist zutreffend. Sonnenuntergang war erst um 21:24 Uhr, also knapp viereinhalb Stunden später. Welche zur Tatzeit vorherrschende Dämmerung der Verteidiger gemeint haben will, bleibt daher im Dunkeln.
2. Die Verurteilung des Betroffenen wegen einer vorsätzlich begangenen Tat hält einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.
Zwar kann regelmäßig aus einer kurzfristigen Unachtsamkeit mangels genügender Beobachtung des Verkehrsgeschehens ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte nicht auf eine vorsätzliche Tatbegehung geschlossen werden, denn denkbar ist auch, dass der Fahrzeugführer darauf vertraut hat, es verbleibe bei den zuletzt wahrgenommenen Verkehrsregelungen (hier bezüglich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Betroffene wegen vorangegangener, durch Aufmerksamkeitsdefizite bedingte Fahrfehler gewarnt war oder aus genereller Gleichgültigkeit gegenüber Anordnungen gehandelt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juli 2020 - 3 Ws (B) 147/20 -).
Auf der Grundlage dessen ist gegen die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, durch den Senat nichts zu erinnern. Denn im vorliegenden Fall kann schon von einem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit nicht die Rede sein. Nach den getroffenen Feststellungen wendete sich der Betroffene über 100 Meter, bei einer Geschwindigkeit von festgestellten 56 km/h also für eine Zeit von ca. sechseinhalb Sekunden, auf einer - allseits bekannt - vielbefahrenen mehrspurigen Straße mitten im Berufsverkehr der "Lektüre irgendwelcher Speichermedien" (UA S. 5) zu, statt den Straßenverkehr zu beobachten. Dies lässt den Schluss zu, dass der Betroffene aus genereller Gleichgültigkeit gegenüber dem Verkehrsgeschehen gehandelt hat, mithin auch gegenüber etwaigen verkehrsrechtlichen Anordnungen (hier durch Zeichen 274). Ob der Einlassung des Betroffenen überhaupt hätte Glauben geschenkt werden können, kann dahinstehen, denn dies zu prüfen, oblag allein dem Amtsgericht.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 9. August 2021 lag vor, rechtfertigt aber keine abweichende Entscheidung. Sein Vorbringen geht schon deswegen ins Leere, weil die Rechtsbeschwerdebegründung aus den von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten Gründen nicht den Zulässigkeitsanforderungen von §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.
Fundstellen
Dokument-Index HI14987694 |