Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsweise Vorführung eines Ausländers vor dessen Auslandsvertretung
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; AufenthG § 82 Abs. 4 S. 3; BPolG § 40; FEVG §§ 5, 11
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 19.04.2007; Aktenzeichen 84 T 48/07 B) |
AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 16.01.2007; Aktenzeichen 70 XIV 32/07 B) |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des LG Berlin vom 19.4.2007 - 84 T 48/07 B - wird festge-stellt, dass die gegen den Betroffenen angeordnete Freiheitsentziehung durch den Beschluss des AG Schöneberg vom 16.1.2007 rechtswidrig war.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Gründe
I. Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des LG vom 19.4.2007, durch den die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung des AG Schöneberg als unzulässig verworfen wurde, ist zulässig, §§ 27 Abs. 1, 29 FGG, 3 Satz 2, 7 Abs. 1 und 2 FEVG, 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis an einer sachlichen Korrektur der Beschwerdeentscheidung liegt vor. Gegenstand der Beschwerdeentscheidung war die Feststellung, ob die durch das AG angeordnete einstweilige Freiheitsentziehung zwecks Vorführung und Passbeschaffung beim türkischen Generalkonsulat rechtswidrig gewesen ist. Dieses vom LG zu beurteilende Feststellungsbegehren hat sich nicht dadurch prozessual erledigt, dass nach Erlass der Beschwerdeentscheidung eine Situation eingetreten ist, in der eine zwangsweise Vorführung des Betroffenen beim türkischen Generalkonsulat künftig nicht mehr zu erwarten ist, weil der Betroffene nach Vorlage eines türkischen Passes eine befristete Aufenthaltserlaubnis gem. § 23a AufenthG (Härtefall) erhalten hat. Vielmehr besteht das ursprünglich verfolgte Rechtsschutzziel unverändert fort (vgl. BVerfG, Senatsbeschluss v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00 und 1777/00 - in juris, Rz. 35). Der Betroffene brauchte das eingelegte Rechtsmittel mithin weder für erledigt zu erklären noch auf eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens (§ 14 Abs. 3 FEVG) zu beschränken.
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung kann aus Rechtsgründen nicht bestehen bleiben (§ 27 FGG, § 546 ZPO). Das LG hätte der Erstbeschwerde der Betroffenen stattgeben und die Rechtswidrigkeit der einstweiligen Anordnung des AG Schöneberg vom 16.1.2007 feststellen müssen.
1. Die Verwerfung der Beschwerde gegen den Beschluss des AG Schöneberg vom 16.1.2007 durch das LG ist nicht rechtens. Auch wenn der Beschluss des AG Schöneberg vom 16.1.2007, dem Betroffenen vom 16.1. bis zum Ablauf des 19.1.2007 die Freiheit zu entziehen, durch Zeitablauf seine Wirksamkeit verloren hat und damit prozessual überholt war, ist der Betroffene berechtigt gewesen, am 29.1.2007 die sofortige Beschwerde mit dem Ziel einzulegen, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung nachträglich feststellen zu lassen. Das LG hat zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung ausgeführt, es bestehe kein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, dass die gegen den Betroffenen angeordnete Haft rechtswidrig gewesen sei. Der Betroffene sei nicht in Haft gewesen. Die bloße Anordnung einer Freiheitsentziehung ohne Vollzug führe zu keinem schwerwiegenden hoheitlichen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Freiheitsrecht und begründe somit auch kein Feststellungsinteresse nach der Erledigung der Hauptsache (BayObLG, Beschl. v. 16.8.2004 - 4Z BR 045/04 - bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang; KG, 25. ZS, Beschl. v. 29.3.2006 - 25 W 32/05). Auch ein Rehabilitierungs- und Genugtuungsinteresse sei im vorliegenden Fall weder ersichtlich noch dargetan. Diese Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Um den nach Art. 19 Abs. IV GG gebotenen effektiven Rechtschutz zu gewährleisten, wird im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ein Rechtsschutzinteresse trotz Erledigung der Hauptsache dann bejaht, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (BVerfG, a.a.O.). Außerdem besteht in den Fällen freiheitsentziehender Maßnahmen nach der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG ein Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Überprüfung schon dann, wenn die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit als "Genugtuung" oder zur Rehabilitierung des Betroffenen erforderlich ist (BVerfG, a.a.O., Rz. 38 ff.). So hat das BVerfG für den Bereich der Abschiebungshaft festgestellt, dass mit der richterlichen Anordnung von Abschiebehaft die Feststellung verbunden sei, der betroffene Ausländer habe sich in einer Weise gesetzwidrig verhalten, die seine Inhaftierung rechtfertige. Die Haftanordnung sei damit geeignet, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (BVerfG, a.a.O., Rz. 40). Der Senat vermag daher der Auffassung des 25. Zivilsenats des KG (a.a.O.) nicht zu folgen, dass nur ...