Normenkette
ABGB AUT § 579 aF; EUV 650/2012 Art. 21 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 S. 2, Art. 83 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Beschluss vom 01.07.2021; Aktenzeichen 61 VI 304/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Pankow vom 1.7.2021, Geschäftsnummer: 61 VI 304/21, aufgehoben.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Anordnung einer Nachlasspflegschaft.
Die deutsche Staatsangehörige Frau I... E... D... reiste nach Österreich, weil sie dorthin übersiedeln wollte; ihr Ehemann, der im Jahr ... verstorben ist, ist dort begraben. Am 27.9.2011 unterschrieb sie in K... (Österreich) ein maschinenschriftlich erstelltes Testament, in dem sie die Beteiligten zu 1) und 2) zu gleichen Teilen als Erben einsetzte. Drei Testamentszeugen unterschrieben das Testament. § 579 des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) alte Fassung sah vor: "Einen letzten Willen, welchen der Erblasser von einer anderen Person niederschreiben ließ, muß er eigenhändig unterfertigen. Er muß ferner vor drei fähigen Zeugen, wovon wenigstens zwei zugleich gegenwärtig sein müssen, ausdrücklich erklären, daß der Aufsatz seinen letzten Willen enthalte. Endlich müssen sich auch die Zeugen, entweder inwendig oder von außen, immer aber auf der Urkunde selbst, und nicht etwa auf einem Umschlag, mit einem auf ihre Eigenschaft als Zeugen hinweisenden Zusatz unterschreiben. Den Inhalt des Testaments hat der Zeuge zu wissen nicht nötig." (Quelle: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001622[FassungVom]=2016-12-31, abgerufen am 30.9.2021). Frau D... behielt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in B.... Sie verstarb dort am ....
Mit Schriftsatz vom 11.5.2021 haben die Beteiligten zu 1) und 2) die Erteilung eines Erbscheins beantragt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 1ff. der Akte verwiesen. Das Nachlassgericht hat Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments geäußert, vgl. die Verfügung vom 26.8.2021, Blatt 53 der Akte. Mit Beschluss vom 1.7.2021 hat das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft angeordnet. Es hat die Anordnung damit begründet, dass der Erbe unbekannt und sicherungsbedürftiger Nachlass vorhanden sei. Der Beschluss ist den Beteiligten zu 1) und 2) am 7.7.2021 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 15.7.2021, am 16.7.2021 bei Gericht eingegangen, haben sie Beschwerde erhoben. Sie rügen, dass die Erben nicht unbekannt seien, weil das Testament formwirksam sei. Sie meinen, Art. 27 der Europäischen Erbrechtsverordnung erlaube die Errichtung nach dem damals gültigen österreichischen Recht. Mit Beschluss vom 31.8.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen. Es meint, ein Erbe sei bereits dann unbekannt im Sinne des § 1960 Abs. 1 und 2 BGB, wenn er nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehe. Wegen der Einschätzung des Gerichts im Erbscheinsverfahren bestehe keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beschwerdeführer Erben geworden seien. Gesetzliche Erben seien bisher nicht ermittelt und es gebe ein Vermögen in nicht unbeachtlicher Höhe.
II. Die Beschwerde ist begründet.
Das Nachlassgericht hätte keine Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 Abs. 1 und 2 BGB anordnen dürfen.
Gemäß § 1960 Abs. 1 BGB hat das Nachlassgericht bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Das gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Ob ein Erbe unbekannt ist, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an seine Stelle tretenden Beschwerdegerichts aus zu beurteilen. Maßgebend ist der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme (OLG Hamm, Beschluss vom 28. Oktober 2010, Az.: I-15 W 302/10, juris Rn. 21). Um den Erben als bekannt anzusehen, bedarf es nicht letzter Gewissheit. Steht mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe ist, kommt die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nicht in Betracht, selbst wenn ein Erbschein bislang noch nicht erteilt worden ist (KG Berlin, Beschluss vom 24. Februar 1998, Az.: 1 W 364/98, juris Rn. 18).
Die Beschwerdeführer sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Erben geworden. Die Erblasserin hat sie in ihrem Testament vom 27.9.2011 als Erben zu gleichen Teilen eingesetzt. Es bestehen keine konkreten Zweifel an der Formwirksamkeit des Testaments.
Auf den Erbfall ist gemäß Art. 83 Abs. 1, 21 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (EuErbVO) deutsches Recht anwendbar. Für die Frage der Formwirksamkeit des Testaments findet hingegen die EuErbVO keine Anwendung. Art. 75 Abs. 1 Unterabschnitt 2 der Verordnung sieht einen Anwendungsvorrang des Haager Testamentsformübereinkommens vom 5.10.1961 vor, den das Nachlassgericht nicht beachtet hat. Aufgrund des Vorrangs dieses Abkommens ist die Überleitungsvorschrift des Art. 83 Abs. 3 EuErb...