Leitsatz (amtlich)

Prozesskostenhilfe kann einer klagenden Partei nicht schon deshalb versagt werden, weil sie vorgerichtlich die Begutachtung durch einen von der beklagten Haftpflichtversicherung des Unfallgegners beauftragten medizinischen Sachverständigen abgelehnt hat. Darin liegt kein Mutwille i.S.d. § 114 ZPO.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 25.09.2009; Aktenzeichen 43 O 102/09)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 13.10.2009 wird der Beschluss des LG Berlin vom 25.9.2009 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 16.10.2009 aufgehoben, soweit zu Lasten der Antragstellerin entschieden worden ist. Das Prozesskostenhilfeverfahren wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet, weshalb der angefochtene Beschluss aufzuheben und gem. § 572 Abs. 3 ZPO an das LG zurückzuverweisen war.

Prozesskostenhilfe kann einer klagenden Partei nicht schon deshalb versagt werden, weil sie vorgerichtlich die Begutachtung durch einen von der beklagten Haftpflichtversicherung des Unfallgegners beauftragten medizinischen Sachverständigen abgelehnt hat. Darin liegt kein Mutwille i.S.d. § 114 ZPO.

Die staatliche Prozesskostenhilfe beruht auf dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichheits- und Sozialstaatsgebot. Der Zugang zu den Gerichten soll demjenigen, der die Verfahrenskosten nicht aus eigenen Geldmitteln aufbringen kann, ebenso offenstehen wie demjenigen, der die Verfahrenskosten selbst finanzieren kann (vgl. BGHZ 70, 235 [237] = VersR 78, 425 [426] = NJW 78, 938). Mutwilligkeit i.S.v. § 114 S. 1 ZPO ist im allgemeinen anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung oder die Rechtsverteidigung von dem abweicht, was eine verständige, ausreichend bemittelte Partei in einem gleichgelagerten Fall tun würde (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1982, 1223; 84, 809; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., § 114 Anm. 2 B b m.w.N.).

Das OLG Düsseldorf (VersR 1989, 645) hat in einem Arzthaftungsfall entschieden, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine verständige ausreichend bemittelte Partei stets zunächst ein Verfahren bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler betreiben und erst danach die Entscheidung treffen würde, ob sie Klage erhebt oder nicht. Zur Begründung führt das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss aus, es sei zu bedenken, dass die Aufklärung und die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts im Rahmen des angesprochenen Verfahrens keineswegs unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf einen nachfolgenden Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten entfalte. Es sei zwar möglich, dass die Durchführung des Verfahrens bei einer Gutachterkommission im Einzelfall auf die Vermeidung eines Rechtsstreits hinauslaufen könne. Dennoch gehe es nicht an, einen ausreichend bemittelten Kläger allein deshalb als unvernünftig und unverständig zu bezeichnen, weil er trotz der angesprochenen Möglichkeit sogleich den Weg zu den Gerichten beschreitet.

Wenn schon die Durchführung eines Verfahrens bei der Gutachterkommission einer Ärztekammer nicht gleichsam zu einer Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Arzthaftungsprozess erhoben werden darf, indem die beabsichtigte Rechtsverfolgung als mutwillig gewertet wird, solange die klagende Partei ein Verfahren bei der Gutachterkommission nicht betrieben hat, dann kann vorliegend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht von der Bereitschaft der Klägerin zu einer vorgerichtlichen Begutachtung durch einen von der beklagten Haftpflichtversicherung beauftragten medizinischen Sachverständigen abhängig gemacht werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2266605

MedR 2010, 179

NZV 2010, 202

VRS 2010, 98

VersR 2010, 1102

ZfS 2010, 330

NJW-Spezial 2010, 203

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