Entscheidungsstichwort (Thema)
Wichtiger Grund für die Fortdauer Untersuchungshaft nach erstinstanzieller Verurteilung
Leitsatz (redaktionell)
Bei einer unter Anrechnung der Untersuchungshaft noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten hat die Untersuchungshaft fortzudauern, wenn die Bestätigung der Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nahe liegt und Fluchtgefahr besteht, weil sich die Familie des Verurteilten im Ausland befindet.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 05.05.2000; Aktenzeichen (574) 1 Op Js 279/99 Ls Ns (25/00)) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 5. Mai 2000, soweit sein Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls abgelehnt worden ist, wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Schöffengericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am .21. Januar 2000 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt, über die wegen der Einholung von Gutachten zum Wirkstoffgehalt des Heroingemischs und zur Schuldfähigkeit noch nicht entschieden worden ist. Er befindet sich in dieser Sache seit dem 27. Juli 1999 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 14. Juli 1999 - 349 Gs 2881/99 - in Untersuchungshaft. Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Landgericht u. a. den Antrag des Angeklagten auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls abgelehnt. Hiergegen richtet sich seine nach § 304 Abs. l StPO zulässige Beschwerde. Sie hat keinen Erfolg.
1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Straftat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO}; das folgt aus seiner Verurteilung. Der dringende Tatverdacht ergibt sich darüber hinaus aus den Ergebnissen der Telefonüberwachungsmaßnahmen, den Aussagen der Zeugen E und Palabiyik sowie den Gutachten des. Polizeipräsidenten in Berlin, LKA PTU vom 11. November 1998 und 25. April 2000. Nach den bisherigen Ergebnissen der Gutachten der PTU ist davon auszugehen, daß eine nicht geringe Menge von Heroin vorliegt. Das Heroingemisch wurde homogenisiert. Danach wurden zwei Proben entnommen und untersucht. Auch wenn die Einzelmeßwerte etwas voneinander abweichen, ist nicht zu erwarten, daß das Mindestmaß von 1,5 g Heroinhydrochlorid unterschritten wird. Das Ergebnis der ergänzenden Untersuchung fünf weiterer Proben steht noch aus. Da der Bundesgerichtshof die nicht geringe Menge in Form von Heroinhydrochlorid festgelegt hat (BGHSt 32, 162 ff), ist unabhängig von der Konsumform der Anteil an Heroinbase mit dem Faktor (abgerundet) 1,1 zu multiplizieren, um den Anteil an Heroinhydrochlorid zu erhalten (vgl. Körner, BtMG 4. Aufl., § 29 a Rdn. 54 und 75).
2. Zu Recht hat das Landgericht auch weiterhin den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) angenommen. Der Angeklagte ist vom Schöffengericht zu einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe verurteilt worden und muß insbesondere aufgrund der Tatbegehung im Strafvollzug, seiner zahlreichen Vorstrafen und des Umstandes, daß das Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB nach dem widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen nicht in Betracht kommt, befürchten, daß die Strafe in der Berufungsinstanz nicht wesentlich herabgesetzt wird. Im Falle der Rechtskraft hätte er auch unter Berücksichtigung der nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe anzurechnenden Untersuchungshaft einen noch offenen Strafrest von knapp einem Jahr und drei Monaten. Der Angeklagte kann auch nicht ohne weiteres damit rechnen, daß nach Teilver-büßung der dann noch offene Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 Ws 222/98 -und 27. Juni 1995 - 4 Ws 124/95 -) sind an die kritische Erprobung von Tätern, die mit Betäubungsmitteln gehandelt oder Beihilfe dazu geleistet und sich somit besonders sozialschädlich verhalten haben, strenge Maßstäbe anzulegen. Eine vorzeitige Haftentlassung ist nur zu verantworten, wenn, was sich jetzt noch nicht beurteilen läßt, in erhöhtem Maße- wahrscheinlich ist, daß sich der Angeklagte in Freiheit bewähren wird. Hiergegen sprechen allerdings seine zahlreichen Vorstrafen.
Es besteht mithin eine Straferwartung, bei der nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts (vgl. Senat, Beschlüsse vom 15. Dezember 1999 - 4 Ws 297/99 - und 14. Dezember 1998 - 4 Ws 285/98 -) nur noch zu prüfen ist, ob Tatsachen gegeben sind, die die hieraus herzuleitende Fluchtgefahr ausreichend mindern können; solche Umstände sind hier jedoch nicht festzustellen. . Der Angeklagte ist geschieden sowie kinderlos und hat keinen festen Wohnsitz. Seine Eltern, sein Bruder und seine Frau, die er 1997 - nicht standesamtl...