Leitsatz (amtlich)
Es gibt keinen Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn das notwendig ist, um die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 03.08.2007; Aktenzeichen (538) 17 Ju Js 364/07 KLs (8/07)) |
Tenor
Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 3. August 2007 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte am 18. Mai 2007 wegen Bandendiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und von dem Vorwurf des schweren Raubes freigesprochen. Sie hat gegen ihre Verurteilung Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Die Angeklagte befindet sich seit dem 23. November 2006 in Untersuchungshaft, zur Zeit aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts Berlin vom 3. August 2007. Ihre dagegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1.
Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus dem Urteil; dagegen trägt die Angeklagte auch nichts vor.
2.
Es besteht weiterhin Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die Angeklagte muß befürchten, daß ihre Revision erfolglos bleiben und die verhängte Freiheitsstrafe vollständig vollstreckt wird. Mit einer vorzeitigen Haftentlassung nach § 57 StGB kann sie aufgrund ihrer zahlreichen Vorstrafen und einer früheren Strafverbüßung nicht rechnen. Auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft ist die verbleibende Reststraferwartung von über einem Jahr und zwei Monaten noch so hoch, daß sie der Angeklagten einen starken Anreiz bietet, sich der drohenden Strafvollstreckung zu entziehen. Besondere Umstände, die der Fluchtgefahr entgegenstehen oder sie entscheidend mindern könnten, liegen nicht vor. Die Angeklagte, deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, wird in Deutschland lediglich geduldet. Sie ist ledig und verfügt über keine tragfähigen sozialen oder familiären Bindungen. Von ihren fünf Kindern im Alter von drei bis 22 Jahren hat sie vor ihrer Inhaftierung getrennt gelebt. Soweit bekannt, beschränkte sich ihr Kontakt zu Familienmitgliedern auf die Planung und Begehung von gemeinsamen Straftaten. Zuletzt war sie aufgrund von Mietschulden ohne eigene Wohnung und hat sich in einer Kriseneinrichtung der Berliner Wohnungslosenhilfe aufgehalten. Daß eine von dem Verteidiger vorgeschlagene - ohnehin nur vorübergehend mögliche - Unterbringung der Angeklagten in dem "weglaufhaus villa stöckle" sie von einer Flucht abhalten würde, glaubt der Senat nicht. Auch der Umstand, daß die Beschwerdeführerin sich dem Verfahren im November 2006 freiwillig gestellt hat, räumt die Fluchtgefahr nicht aus. Denn zum damaligen Zeitpunkt konnte sie noch hoffen, von dem gegen sie mit dem ursprünglichen Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. November 2006 lediglich erhobenen Vorwurf des schweren Raubes - wie dann auch geschehen - freigesprochen zu werden und einer Bestrafung zu entgehen.
3.
Mildere Maßnahmen (§ 116 StPO) als der Vollzug von Untersuchungshaft sind nicht geeignet, deren Zweck in gleicher Weise zu erfüllen. Daß die Angeklagte sich im Falle ihrer Freilassung zuverlässig an Auflagen und Weisungen halten und sich der sozialen Betreuung in dem "weglaufhaus" nicht entziehen würde, ist angesichts ihrer psychischen Instabilität nicht gewährleistet.
4.
Die Untersuchungshaft ist trotz ihrer bisherigen Dauer und der im Hinblick auf § 358 Abs. 2 StPO auf zwei Jahre Freiheitsstrafe begrenzten Straferwartung weiterhin verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Es gibt keinen Rechtssatz, daß die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn das notwendig ist, um die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern (vgl. KG, Beschluß vom 12. Februar 1987 - 4 Ws 41/87 -; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., Rdn. 4 zu § 120 m.w.N.).
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Fundstellen