Leitsatz (amtlich)
1. Ob von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann das Revisionsgericht auch auf die allein vom Angeklagten erhobene Sachrüge hin überprüfen, wenn dieser die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Revisionsangriff ausgenommen hat. Anlass für diese Prüfung besteht allerdings nur dann, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind.
2. Der als Soll-Vorschrift ausgestaltete § 64 Satz 1 StGB räumt dem Tatrichter zwar grundsätzlich die Möglichkeit ein, bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung von einer solchen abzusehen. § 64 StGB ist damit aber keine Ermessensvorschrift im engeren Sinne geworden; das Absehen von der Maßregelanordnung kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.
3. Die Verhängung der Maßregel nach § 64 StGB hat nicht nur den Zweck, den Täter in seinem persönlichen Interesse einer Heilbehandlung zuzuführen; sie hat sich vielmehr an den Belangen der öffentlichen Sicherheit auszurichten und dient in erster Linie dem Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Tätern, auch wenn sich dieser Zweck durch Besserung erreichen lässt.
4. Die Bereitschaft des Angeklagten, sich einer ambulanten Therapie zu unterziehen, ist für sich genommen kein Grund, von der Anordnung einer zwangsweisen Unterbringung abzusehen.
5. Die Unterbringung kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkungen auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben, namentlich wenn sie die Dauer der Strafe überschreiten kann.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 15.06.2018; Aktenzeichen (561) 285 Js 277/17 Ns (81/17)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht sprach den Angeklagten durch Urteil vom 7. März 2017 des räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls schuldig, erkannte auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr sowie zehn Monaten und bildete daraus unter Einbeziehung einer durch dasselbe Gericht verhängten Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten; zugleich ordnete es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt an. Auf die Berufung des Angeklagten, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung des Vertreters der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, setzte das Landgericht Einzelstrafen von zehn und acht Monaten fest und bildete unter Einbeziehung der vom Amtsgericht Tiergarten in einem anderen Verfahren verhängten Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt lehnte es ab, weil zwar dafür die Landeskasse als Kostenträger bestimmt sei, aufgrund des aufenthaltsrechtlichen Status' nicht aber für die "ausreichende" (freiwillige) ambulante Therapie in einem (öffentlichen) Krankenhaus. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, der die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, hat (vorläufig) Erfolg.
1. Das Revisionsgericht prüft auf die Sachrüge von Amts wegen und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, ob das Landgericht zutreffend von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 318 Satz 1 StPO) ausgegangen ist (ständige Rspr., z. B. BGHSt 27, 70 ff.; KG, Urteil vom 18. Februar 2013 - [4] 121 Ss 281/12 [341/12] -, juris Rdnr. 4; Senat, Beschluss vom 23. August 2017 - [5] 121 Ss 99/17 [53/17] -; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 318 Rdnr. 33, § 352 Rdnr. 4). Das ist vorliegend der Fall.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ergänzende Feststellungen zur Abhängigkeit des Angeklagten von Diazepam sowie dazu getroffen hat, welche Auswirkungen diese Erkrankung auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten hatte. Die Strafkammer hat, wie den Feststellungen hinreichend deutlich zu entnehmen ist, ausgeschlossen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 20 StGB vollständig aufgehoben war.
2. Das angefochtene Urteil ist allerdings rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB mit unzutreffender Begründung abgelehnt hat.
a) Hat ein Täter den Hang, berauschende Mittel zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer auf den Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat verurteilt, so soll das Gericht bei entsprechender Erfolgsaussicht eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Ob von einer solchen Anordnung zu Recht abgesehen...