Entscheidungsstichwort (Thema)

Mögliche Wechselwirkungen der Entscheidung nach § 64 StGB mit dem Strafausspruch und der Bewährungsentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen - unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - zu prüfen, ob dieses zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO und damit einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist.

2. Die Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden, die Entscheidung über die Strafaussetzung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft, der Anfechtende sich gegen die Feststellung oder Nichtfeststellung einer doppelrelevanten Tatsache wendet oder eine unzulässige Verknüpfung von Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung besteht. Stets muss gewährleistet sein, dass das stufenweise entstehende Gesamturteil frei von inneren Widersprüchen bleibt.

3. Ob von einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann das Revisionsgericht schon auf die Sachrüge hin überprüfen, auch wenn nur der Angeklagte Revision eingelegt hat. Anlass für diese Prüfung besteht grundsätzlich nur dann, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung gegeben sind.

4. Bei suchtmittelabhängigen Tätern ist regelmäßig eine getrennte Beurteilung der Voraussetzungen über die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB und die Strafaussetzung zur Bewährung nicht möglich, da beide Entscheidungsteile auf denselben Gesichtspunkten beruhen. Die Beschränkung der Berufung auf die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung kann sich daher als unwirksam erweisen, wenn sich das angefochtene Urteil mit der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht auseinandergesetzt hat, obwohl sich dies aufdrängte.

5. Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung prüft das Berufungsgericht von Amts wegen im Freibeweis endgültig erst aus der Sicht des Ergebnisses der Beratung über die zu treffende Entscheidung.

6. Auch wenn grundsätzlich keine "Wechselwirkung" zwischen Strafe und Maßregel nach § 64 StGB besteht, ist im Einzelfall anhand der Urteilsgründe zu prüfen, ob bestimmte Feststellungen - etwa zu § 21 StGB - doppelrelevant für den Strafausspruch einerseits und die Entscheidung nach § 64 StGB andererseits sind. Die Unterbringung kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkungen auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben.

 

Normenkette

StPO § 318 S. 1; StGB §§ 21, 56 Abs. 1, § 64

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 19.07.2018; Aktenzeichen (574) 281 AR 101/18 Ns (23/17))

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 3. April 2018 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und ihm eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt. Die tatsächlichen Feststellungen lauteten wie folgt:

"Am Tattag, dem 17.01.2017 gegen 18:00 Uhr, entwendete der Angeklagte aus der Physiotherapiepraxis A in der O.straße in Berlin (...) die Collegetasche des Zeugen P, in welcher sich u.a. ein Apple Tablet Computer und diverse weitere Gegenstände im Wert von circa 1700.- Euro befanden.

Der Angeklagte konsumiert bereits seit längerer Zeit Betäubungsmittel, nämlich Speed. Er stand auch bei der vorliegenden Tat unter dem Einfluss von Speed. Der Angeklagte konnte kurze Zeit nach der Tat gestellt werden. Die Gegenstände des Zeugen P, insbesondere das Apple Tablet konnte bei dem Angeklagten aufgefunden und sichergestellt werden. Alle entwendeten Gegenstände konnten unmittelbar nach der Tat dem Geschädigten P zurückgegeben werden."

Gegen das Urteil hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. April 2018 Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung am 19. Juli 2018 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt hat. Das Landgericht hat die Beschränkung als wirksam erachtet und hat die Berufung des Angeklagten verworfen.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts, wobei er die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Rechtsfolgenangriff ausgenommen hat.

II.

Die Revision hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Das angefochtene Urteil hält im Rechtsfolgenausspruch rechtliche...

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