Leitsatz (amtlich)

Zum Mindestmaß an Beweistatsachen bei der Berichterstattung über den Verdacht der Verbreitung manipulierter Fotoaufnahmen durch einen Fotografen (Rütli-Schule Berlin).

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 13.06.2006; Aktenzeichen 27 O 447/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das am 13.6.2006 verkündete Urteil des LG Berlin - 27 O 447/06 - geändert:

Die einstweilige Verfügung des LG vom 20.4.2006 wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an einem Intendanten, untersagt wird, zu verbreiten.

Äußerungen eines Jugendlichen M., wonach diesem 20 EUR dafür angeboten worden seien, einen Stein zu werfen, danach anzumerken "Der Fotograf der Boulevard-Zeitung bekam sein Motiv, heißt es. Die Gewalt, die das Foto aus der B. "..." zeigt, empörte viele Leser. Doch an der Wahrhaftigkeit gibt es Zweifel. War es nur gestellt?" und gleichzeitig die Kamera über die Doppelseite 6/7 der "..." vom ...2006 mit dem vom Verfügungskläger gefertigten Foto zu schwenken

und/oder

"Randale für Kohle? Kollegen, die für Krawallbilder zahlen, das wäre ungut und lenkt vom echten Problem ab. Hinter dem ganzen Schaum steckt nämlich eine graue, hässliche Wirklichkeit.",

wie in den Beiträgen "R.-S.B.: Gekaufte Randale? sowie "Gewalt im Klassenzimmer" in der Sendung "M." vom ...2006 geschehen.

Von den Kosten erster Instanz tragen der Verfügungskläger 1/10 und die Verfügungsbeklagte 9/10. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Verfügungsbeklagte.

 

Gründe

(Nach §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO ohne Tatbestand.)

1. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht wegen der beanstandeten Fernsehberichterstattung der Beklagten in der Sendung "M." vom ...2006 der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu. Die angegriffene Berichterstattung in dem Beitrag "R.-S.B.: Gekaufte Randale?" sowie der einleitende Text, mit dem der Beitrag "Gewalt im Klassenzimmer" angekündigt wurde, überschreiten die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung. Die Beklagte hat einen Mindestbestand an Beweistatsachen zur Stützung des Verdachts, der Kläger habe einem oder mehreren Jugendlichen Geld dafür angeboten, einen Stein zu werfen, nicht dargelegt und unter Beweis gestellt. Die Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen ergibt daher, dass über einen entsprechenden Verdacht nicht berichtet werden durfte. Die einstweilige Verfügung des LG vom 20.4.2006 war daher mit der im Tenor enthaltenen Maßgabe zu bestätigen. Wegen der Voraussetzungen zulässiger Verdachtsberichterstattung nimmt der Senat zunächst Bezug auf S. 6 des angefochtenen Urteils.

2. Der Kläger ist durch die Berichterstattung betroffen, da der Verdacht der "gekauften Randale" durch die Einblendung des von ihm aufgenommenen und in der "..." vom 1. April und im "S." vom 3.4.2006 veröffentlichten Fotos gerade auf ihn hingelenkt wurde. Zu Recht hat das LG ausgeführt, dass in Fachkreisen bekannt ist, dass der Kläger das Foto aufgenommen hat. Der Vorwurf, manipulierte Bilder zu liefern, ist für einen Fotojournalisten vernichtend und geeignet, potentielle künftige Auftraggeber von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Kläger abzuhalten.

3. Die Beklagte hat hinreichend deutlich gemacht, dass es sich um einen Verdacht handelt. Die Frage im 2. Absatz des Mitschnittes Anlage ASt 02 ist offen formuliert ("War es nur gestellt?"). In der Anmoderation des nachfolgenden Beitrags "Gewalt im Klassenzimmer" wird offen gelassen, ob es "Randale für Kohle" gab. Ferner weist die Formulierung "das wäre ungut" den Zuschauer darauf hin, dass von einem bloßen Verdacht ausgegangen wird. Die nach Ansicht des Klägers suggestive Wirkung der Fernsehbilder ändert daran nichts. Es ist nicht ersichtlich, wie die Information, es handele sich um einen Verdacht, in Fernsehbilder hätte umgesetzt werden können.

4. Die Verdachtsberichterstattung war - wie das LG zutreffend ausgeführt hat - schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte eine Stellungnahme des Klägers nicht eingeholt hat. Dies allein führte jedoch nicht zu einem umfassenden Unterlassungsgebot, da die Beklagte bei einer erneuten Berichterstattung lediglich verpflichtet wäre, zusätzlich das Dementi des Klägers mitzuteilen.

5. Soweit das LG angenommen hat, die Beklagte habe eine Reihe von Beweistatsachen vorgebracht, die dem geäußerten Verdacht einen hinreichenden "Öffentlichkeitswert" verleihen, folgt der Senat dem nicht.

Der in dem Beitrag interviewte Schüler M. hat nicht bestätigt, dass ihm der Kläger Geld angeboten hat. Nach seinen Äußerungen bleibt offen, welcher Journalist ihm 20 EUR für einen vorgeblichen Steinwurf versprochen hat. Eine eidesstattliche Versicherung des Jugendlichen hat die Beklagte nicht vorgelegt...

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