Leitsatz (amtlich)
Allein aus dem Umstand, dass eine Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Beklagten gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, kann nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Heimbetreibers oder dessen Mitarbeiter geschlossen werden.
Eine Pflicht zur Fixierung eines Heimbewohners während der Mittagsruhe oder das Hochfahren der Bettgitter besteht nicht ohne Genehmigung des VormG (§ 1906 Abs. 4 BGB), die nicht ohne hinreichenden Anlass eingeholt werden muss; drei Stürze vor Aufnahme in das Pflegeheim innerhalb der letzten sieben Jahre vor dem Unfall reichen dafür nicht aus.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 14.02.2003; Aktenzeichen 28 O 336/02) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.2.2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 28 des LG Berlin - 28 O 336/02 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 % abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die am 24.2.2003 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat mit einem am 6.6.2003 bei Gericht eingegangene Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten richtet sich gegen das am 2.4.2003 zugestellte Urteil der Zivilkammer 28 des LG Berlin vom 14.2.2003, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird. Die Beklagte verfolgt ihr erstinstanzliches Abweisungsbegehren weiter. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen erster Instanz, wonach es entgegen der Ansicht des LG Sache der Klägerin gewesen sei, eine konkrete Pflichtverletzung der Beklagten, die zum Sturz der Frau G. W. geführt hat, darzulegen und zu beweisen. Mangels entsprechenden Vorbringens der Klägerin sei die Klage unschlüssig gewesen. Zu Unrecht habe das LG seine Entscheidung auf die Feststellungen im Pflegegutachten des M. gestützt. Dieses sei der Beklagten aus Gründen des Datenschutzes zum Unfallzeitpunkt nicht bekannt gegeben worden. Zu Unrecht habe sich das LG über den erstinstanzlichen und unter Beweisantritt gestellten Vortrag der Beklagten hinweggesetzt, wonach Frau W. in der Lage gewesen sei, ihr Bett allein und ohne fremde Hilfe zu verlassen, um sich in ihrer vertrauten Umgebung bzw. im Wohnbereichsflur selbständig zu bewegen. Bei dem Pflegepersonal der Beklagten handele es sich um qualifizierte Fachkräfte, die im Umgang mit alten Menschen geschult seien und ein Gespür und einen Blick dafür hätten, ob Anhaltspunkte für eine Sturzgefahr bestünden oder nicht. Auch habe Frau W. jederzeit die Möglichkeit gehabt, durch Rufen oder Betätigen der Klingel auf sich aufmerksam zu machen. Weiter wiederholt und vertieft die Beklagte ihr Vorbringen, wonach Sicherungsmaßnahmen, wie das Anbringen eines Bettgitters grundsätzlich unzulässig gewesen seien.
Die Beklagte behauptet, eine Fixierung der Frau W. hätte wegen deren Unruhe zu zusätzlichen Leiden geführt (Beweis: Sachverständigengutachten). Wenn Frau W. gemeint habe, Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, habe sie stets das Pflegepersonal informiert (Beweis: Zeugnis V.). Lediglich für weitere Distanzen habe sie - je nach Tagesform - Hilfe der Pflegekräfte in Anspruch genommen (Beweis: Zeugnis V.). Der Sohn der Frau W., Herr Jürgen W. der deren Betreuer gewesen sei, habe sich bei Gesprächen gegen die Anbringung eines Bettgitters ausgesprochen (Beweis: Zeugnis V., W.).
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Berlin vom 14.2.2003 die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, die Beklagte habe die Möglichkeit gehabt, den Sturz der Frau W. durch verschiedene Maßnahmen, wie das Anbringen eines Bettgitters, eine speziell geformte Matratze, Rückhaltegurte, Bewegungsmelder oder Lichtschranken zu verhindern oder die Versicherte zumindest durch das Tragen von Hüftprotektoren vor eintretenden Folgen eines Sturzes bewahren zu können.
Die Klägerin behauptet, es sei nach aller Lebenserfahrung davon auszugehen, dass Frau W. aus Schwäche oder infolge eines Schwindelanfalls den Halt verloren habe.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Abweisung der Klage.
1. Ein Schadensersatzanspruch wegen einer pVV eines zwischen der verletzten Frau W. bzw. deren Betreuer und der Beklagten geschlossenen Heimvertrages, welcher gem. § 116 Abs. 1, 8 SGB X auf die Klägerin übergegangen sein könnte, besteht nicht. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat eine schuldhafte Verletzung der sich aus dem Heimvertrag ergebenden Pflichten durch die Beklagte...