Leitsatz (amtlich)

1. Stürzt die Bewohnerin eines Altenpflegeheims in den Räumen des Heims und verletzt sich dabei, kann hieraus allein nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals geschlossen werden.

2. Welche konkreten Obhutpflichten den Heimbetreiber zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des ihm anvertrauten Heimbewohners treffen, richtet sich nach den Erfordernissen des Einzelfalls unter Berücksichtigung und Beachtung des natürlichen Willens des Bewohners sowie seiner Menschenwürde, wobei die Pflichten begrenzt sind auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind.

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Urteil vom 27.04.2004; Aktenzeichen 9 O 2820/03)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Kassel vom 27.4.2004 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Betreiber eines Altenpflegewohnheims verpflichtet ist, für die Behandlungskosten einer Verletzung (supracondyläre Femofraktur) aufzukommen, die eine seiner Heimbewohnerinnen anlässlich eines Sturzes erlitten hat. Wegen des Sachverhalts wird auf die ausführliche Darstellung in dem erstinstanzlichen Urt. v. 27.4.2004 (Bd. II Bl. 36-50 d.A.) Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne - unabhängig von einer etwaigen Rechtspflicht des Beklagten zum Handeln - nicht festgestellt werden, dass es bei Vornahme der unterbliebenen Handlungen (Lichtschutzschranken, Sensormatratzen, Klingel, Gitter und Hüfthosen), nicht zu dem Sturz gekommen wäre. Lichtschutzschranken und Sensormatratzen seien von vornherein nicht geeignet, einen Sturz des Heimbewohners, der selbständig aufstehe oder unwillkürlich falle, zu verhindern. Gleiches gelte für eine Klingel, deren Einsatz vom Willen des jeweiligen Heimbewohners abhänge, und daher nicht verhindern könne, wenn dieser ohne fremde Hilfe aufstehen wolle.

Betreffend die Einrichtung eines Bettgitters sei bereits zweifelhaft, ob eine entsprechende Rechtspflicht des Beklagten bestanden habe, weil die Heimbewohnerin ausweislich der Pflegedokumentation bereits versucht hatte, nachts über das Gitter zu steigen. Ein derart hohes Gitter, das ein Überklettern physisch ausschließe, käme einem Eingesperrtsein gleich und wäre mit dem Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht des Bewohners nicht vereinbar. Darüber hinaus könne auch nicht angenommen werden, dass ein Bettgitter den Sturz vermieden hätte, weil dieses wegen der Gefahr des Überkletterns lediglich dazu geeignet sei, den schlafenden Heimbewohner vor einem Sturz durch unwillkürliche Bewegungen im Schlaf zu bewahren.

Zuletzt könne auch nicht angenommen werden, dass Hüfthosen den eingetretenen Schaden verhindert hätten. Insoweit sei bereits unklar, ob Frau P tatsächlich derartige Hosen getragen hätte, da diese, wovon sich die Kammer nach einer Inaugenscheinnahme überzeugt habe, relativ unbequem seien. Die Akzeptanz von Hüfthosen liege nach dem Vorbringen der Klägerin bei circa 75 % der Heimbewohner. Darüber hinaus habe die Klägerin selbst vorgetragen, dass die Gefahr, einen Oberschenkelhalsbruch zu erleiden, bei dem Einsatz von Hüfthosen lediglich bis zu 90 % verringert sei, so dass zwar die Möglichkeit bestehe, dass die Verletzungsfolgen vermieden worden wären, hätte der Beklagte Frau P das Tragen einer Hüftschutzhose angesonnen, entsprechendes jedoch nicht festgestellt werden könne.

Der fehlende Nachweis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden gehe zu Lasten des Beklagten. Eine Umkehr der Beweislast unter dem Gesichtspunkt, dass sich der Unfall in dem Heim des Beklagten ereignet habe, sei nicht geboten.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die dem LG eine falsche Fragestellung vorwirft und die Auffassung vertritt, dass den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür treffe, dass er den zu stellenden Sicherungsanforderungen genügt habe.

Zudem, so meint die Klägerin, sei es von dem Beklagten grob fahrlässig gewesen, die Versicherungsnehmerin der Klägerin ihre Mittagsruhe auf dem Sofa und nicht im Bett verbringen zu lassen, nachdem diese in den vergangenen Monaten in den Nachmittagsstunden wiederholt gestürzt und zeitweise verwirrt und desorientiert gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 4.8.2004 und 30.3.2005 (Bd. II Bl. 57-64 und 115-123 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Kassel vom 27.4.2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.005,04 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 4.194,40 EUR nebst weiterer 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 810,64 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet, es sei sowohl mit der Tochter von Frau P sowie m...

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